Wie ticken die Bundesländer? Diesmal: Wien, das kleinste Bundesland mit den meisten Einwohner:innen, profitiert von seinem vielfältigen historischen Erbe.
Sind die Wiener:innen stolz auf ihr Land, auf ihre Stadt? Keine Frage! Aber was „Besseres“ sind die Hauptstädter:innen schon lang nicht mehr. Im Ausland schlägt einem immer noch Bewunderung entgegen, wenn man erklärt, aus der Bundeshauptstadt zu kommen: „Wien, wie schön!“ „Aus Wien, so so“, hört man dagegen öfter in den anderen Bundesländern. Denn die Bundeshauptstadt ist jener Ort, wo die Bundespolitik gemacht wird, mit der man oft nicht einverstanden ist. Und der/die Städter:in ist schwer greifbar: zu viele unterschiedliche Herkunftsländer der zwei Millionen Menschen.
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Der Wiener, die Wienerin hat ohnehin ein bisserl ein Identitätsproblem. Denn den „echten Wiener“ alias Mundl, wie ihn die bekannte TV-Serie „Ein echter Wiener geht nicht unter“ zeichnet, gibt es im echten Leben nicht mehr allzu oft. Dabei sollte man sich fragen, was ein echter Wiener überhaupt ist – schließlich haben fast alle ihre Wurzeln in den ehemaligen Kronländern, in erster Generation oder in folgenden.
Alle Wege führen nach Wien
Wien war immer schon eine Einwanderungsstadt. Bereits im Mittelalter gab es in der Handelsstadt an der Donau einen regen Austausch und Durchzug vieler Nationen. Als Stadt der Kaiser war Wien Treffpunkt vieler Sprachen, vieler berühmter Persönlichkeiten aus den Bereichen der Musik, Literatur und Wissenschaft. „Wien war die Residenz der Monarchie, das wirtschaftliche, politische und kulturelle Zentrum. Das Straßen- und Eisenbahnnetz lief hier zusammen, alle Wege führten hierher und von hier weg“, sagt Historiker Werner Schwarz.
Der Adel kam aus Spanien, Italien oder Deutschland. Um 1900 wurde Wien mit zwei Millionen Menschen zur Metropole, nach London und Paris. Im 19. Jahrhundert stammten die Zuwanderer:innen vor allem aus Ländern der Monarchie, aus Böhmen, Galizien (heute Polen) oder den Alpenländern. „Nach 1945 kamen Asylsuchende aus kommunistischen Ländern wie Ungarn, der Tschechoslowakei oder Polen, aber auch aus Uganda oder Chile. In den 1990ern flüchteten Bosnier vor dem Krieg nach Österreich”, sagt Schwarz.
Bis zum Ende der 1980er-Jahre war Wien die einzige europäische Hauptstadt, die schrumpfte. „Viele sind ins Umland, nach Niederösterreich oder Richtung Westen gezogen, und die Geburtenrate sank.“ Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Osterweiterung der EU wurde Wien für Zuwanderer:innen wieder attraktiv und wuchs stark. Später kam es zu den Flüchtlingsbewegungen aus Afghanistan und Syrien.
Die grüne und soziale Stadt
Wien gehört jedenfalls zu den grünsten Städten der Welt: Die vielen Parks in der Stadt und der Wienerwald sorgen für gute Luft. Im Osten und Süden gibt es große landwirtschaftliche Flächen, was die Versorgung mit Getreide, Obst und Gemüse sichert. Die Donau fließt durch die Stadt und hält vor allem für junge Bewohner:innen Bäder, Bars und Freizeitmöglichkeiten bereit. „Wien bietet vielen Erholung für relativ wenig Geld“, sagt Historiker Schwarz. Überhaupt sei Wien eine Stadt, die immer versucht hat, auch für sozial Schwächere gute Lebensbedingungen zu schaffen.
Seit 1919 ist Wien mit Unterbrechungen während des Austrofaschismus und Nationalsozialismus rot. Die SPÖ brachte der Hauptstadt den sozialen Wohnbau, die berühmten Gemeindebauten oder die Kleingärten am Stadtrand. „Mehr als die Hälfte der Wiener und Wienerinnen lebt im sozialen Wohnbau.“ Das sei es auch, was die Stadt von anderen Hauptstädten unterscheidet. In Berlin etwa wurden kommunale Wohnungen im großen Stil verkauft. „Vieles wurde in Wien bewahrt, was anderswo verschwunden ist”, sagt Schwarz. Auch die alten Kaffeehäuser sind noch da, wo sich schon Arthur Schnitzler oder Friedrich Torberg bei einer Melange und Kaiserschmarrn trafen und inspirieren ließen.
Dass Wien immer noch ein Magnet ist, zeigen jährliche internationale Rankings. Die Bundeshauptstadt belegt seit Jahren Spitzenplätze: Heuer folgte Wien Brüssel als eine der lebenswertesten Städte der Welt, was die Stabilität, das Gesundheitssystem, die Bildung und Infrastruktur betrifft. Und Wien ist nach wie vor die größte Universitätsstadt im deutschsprachigen Raum.
Wien hat von allem ein bisserl was: Villen am Stadtrand, Einfamilienhäuser, Reihenhaus-Siedlungen, den Wohnpark Alt-Erlaa, Gemeinde- und Genossenschaftsbauten, die historische Innenstadt. Die Hochhaus-Zone auf der Donauplatte sorgt für Metropolen-Feeling. Neue Stadtteile entstehen, wie die Seestadt Aspern. Mit den Grünen in der Stadtregierung als kleiner Koalitionspartner von 2010 bis 2020 kamen dann noch ein bisserl Radweg und ein bisserl Begegnungszone dazu.
„Ein gutes Miteinander“
Die Bewohner:innen der Hauptstadt schätzen sich insgeheim glücklich. Wenn in Wien etwas Schlimmes passiert, ist es „woanders noch viel schlimmer“. In Wien kann ein armer Mensch mit Friedenszins noch im 1. Bezirk wohnen und ein reicher Mensch im Gemeindebau. Kultur- und Bildungsangebote sind niederschwellig, ob Schüler:innenklassen im Parlament oder Seniorenfitnessgeräte im Park. Der Bobo macht mit dem Lastenrad in den Innenbezirken auf Landleben, der Bauer kommt mit dem Auto und beliefert die Wiener Märkte. „Ein gutes Miteinander, das macht Wien aus“, sagt Historiker Schwarz.
Wie lang noch?
Im Großen und Ganzen herrscht das Motto leben und leben lassen. Doch genau das ist es auch, diese gemütliche Lebensart, die Wien zunehmend zu schaffen macht. Wiens Schulen sind aufgrund fehlender Integrationsmaßnahmen überlastet. Die Durchmischung der Schüler:innen unterschiedlicher Herkunftsländer funktioniert nicht wirklich. Mit 48 Prozent ist der Anteil der im Ausland Geborenen im 15. Bezirk am höchsten. Doch auch in anderen Bezirken ist der Anteil hoch und man merkt schnell, Wiens Ecken sind sehr unterschiedlich.
Das Thema Integration spielt auch alle fünf Jahre bei den Wiener Landtagswahlen eine Rolle. 2010 verloren die Roten die Absolute und regierten zweimal mit den Grünen und derzeit mit den Neos als kleiner Koalitionspartner. Die FPÖ, die bereits im Jahr 2005 mit dem Wahlslogan „Wien darf nicht Istanbul werden“ für Aufsehen sorgte, liegt derzeit bei Umfragen auf Platz 2. Im Jahr 2020 ging es sich noch einmal aus für die Roten, weil die Freiheitlichen aufgrund des Ibiza-Skandals ein Jahr zuvor Stimmen verloren. Bei der nächsten Landtagswahl 2025 muss die SPÖ wohl ihre Lösungen zur Integration auf den Tisch legen, wenn sie weiterhin für ein „gutes Miteinander“ sorgen möchte.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
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So hat Wien bei der Nationalratswahl 2019 gewählt: 27,1 Prozent SPÖ, 24,6 Prozent ÖVP, 20,7 Prozent Grüne, 12,8 Prozent FPÖ, 9,9 Prozent Neos
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Wien hat knapp 2 Millionen Einwohner:innen.
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Wien ist nach Sölden die zweitgrößte Gemeinde Österreichs.
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Wien besteht aus 23 Bezirken. Die ältesten Bewohner:innen (im Durchschnitt) leben im 1. Bezirk Innere Stadt, gefolgt von Hietzing (13. Bezirk) und Döbling (19. Bezirk). Die jüngsten Bewohner:innen findet man in Simmering (11. Bezirk) , Favoriten (10. Bezirk) und der Leopoldstadt (2. Bezirk).
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In Wien ist der Gemeinderat zugleich auch der Landtag. Der Bürgermeister ist zugleich der Landeshauptmann.
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Seit 1919 stellt die SPÖ (vormals das rote Wien) den Bürgermeister. Jetziger Bürgermeister ist Michael Ludwig.
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Landtagswahl 2020: SPÖ: 41,6 Prozent, ÖVP: 20,43 Prozent, Grüne: 14,8 Prozent, Neos: 7,4 Prozent, FPÖ: 7,1 Prozent
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Landtagswahl 2015: SPÖ: 39,5 Prozent, FPÖ: 30,7 Prozent, Grüne: 11,8 Prozent, ÖVP: 9,2 Prozent, Neos: 6,1 Prozent. Der 21. Bezirk und der 11. Bezirk waren blau.
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Landtagswahl 2010: SPÖ: 44,3 Prozent, FPÖ: 25,7 Prozent, ÖVP: 13,9 Prozent, Grüne: 12,6 Prozent
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Landtagswahl 2005: SPÖ: 49 Prozent, ÖVP: 18,7 Prozent, FPÖ: 14,8 Prozent, Grüne: 14,6 Prozent
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Im 15. Bezirk, Rudolfsheim-Fünfhaus, sind nur 56 Prozent der Bevölkerung bei Landtagswahlen wahlberechtigt.
Gesprächspartner
Werner Schwarz, Historiker, Wien Museum
Prominente aus Wien
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Ehemaliger Bundeskanzler Bruno Kreisky, Maler Oskar Kokoschka, Schriftstellerin Elfriede Jelinek, ehemaliger Bundespräsident Heinz Fischer, ehemaliger Wien-Bürgermeister Michael Häupl, Verhaltensforscher Konrad Lorenz, Pop-Star Falco