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Wie Uganda Geflüchtete zu Nachbar:innen macht

von Max

Mary sitzt an ihrer Nähmaschine im Gemeinschaftsraum des Rhino Camp Umogu in Norduganda. Die südsudanesische Geflüchtete hat von der Hilfsorganisation CARE eine Ausbildung zur Schneiderin erhalten.

„Als ich hier ankam, konnte ich nicht einmal den Kopf heben oder sprechen“, erzählt sie. Heute näht sie Schuluniformen und verdient damit das Schulgeld für ihre fünf Kinder. 25.000 Uganda-Schilling (etwa 6,50 Euro) kostet eine Uniform, etwa 3.000 Schilling (0,80 Euro) bleiben ihr als Gewinn – nicht viel, aber genug, um ihren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen.

Mary an ihrer Nähmaschine im Gemeinschaftsraum des Rhino Camp Umogu.

© Florian Bayer

Mary floh 2019 mit ihrer Familie aus dem südsudanesischen Dorf Watoka nahe der Grenze. Ein Jahr später kam sie ins Rhino Camp, wo sie bis heute lebt. Der Name täuscht: Hier gibt es keine Zelte, auch sonst erinnert nichts an unsere Flüchtlingslager. Stattdessen ist es eine Sammlung Hunderter Dörfer und Siedlungen, mit insgesamt mehr als 150.000 Einwohner:innen.

Mary erzählt österreichischen Journalist:innen von ihrer Arbeit. Ihr Mann, der trotz abgeschlossener Schule hier noch keinen Arbeitsplatz gefunden hat, unterstützt sie nach Kräften. Während sie näht, holt er Wasser, kocht oder kümmert sich um die Kinder.

Die Rückkehr in ihre Heimat im Südsudan wagt die Familie vorerst nicht. „Die Grenze zu überqueren ist zu gefährlich. Einige andere gingen zurück und wurden getötet“, berichtet Mary. Nur telefonisch hält sie Kontakt zu ihrem Bruder. Die Mutter leidet unter Bluthochdruck, aber besuchen kann Mary sie nicht. Wie so viele andere hat sich auch Mary notgedrungen längst dauerhaft im Camp eingerichtet.

Ein Land der offenen Türen

Uganda hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Vorbild für progressive Flüchtlingspolitik entwickelt. Rund 1,7 Millionen Geflüchtete leben in Uganda, mehr als in jedem anderen Land Afrikas. Der Großteil von ihnen kommt aus dem Südsudan, wo von 2013 bis 2020 ein blutiger Bürgerkrieg tobte. Zurückkehren können viele Menschen nicht, da ihnen Verfolgung droht.

Anders als in vielen anderen Ländern dürfen Flüchtlinge in Uganda arbeiten, sich frei bewegen und Land bewirtschaften. Doch die staatlichen Mittel, um sie zu unterstützen, sind begrenzt. „Früher bekamen alle Flüchtlinge Nahrungsmittelhilfe“, erklärt William Asio, der stellvertretende Leiter von Bidi Bidi, einem weiteren riesigen Flüchtlingslager. Heute ist ein Drittel von der Versorgung ausgeschlossen. Den meisten anderen wurden die Rationen gekürzt.

Eine Einzelperson erhält pro Monat vom Staat 7,6 Kilogramm Mais, 3,3 Kilogramm Bohnen, 0,6 Kilogramm Öl und 0,6 Kilogramm Salz, wie er sagt. Alternativ können die Flüchtlinge Bargeld wählen: 22.000 Uganda-Schilling (etwa 5,50 Euro) pro Person und Monat. Geld, das etwa in Saatgut oder Arbeitsgerät investiert wird – das aber immer zu wenig ist.

Zwar sind auch die großen internationalen Player wie das World Food Program der UNO hier im Einsatz. Andere Krisen wie der Krieg in der Ukraine sowie die Nachwirkungen der Covid-Pandemie haben jedoch zu massiven Kürzungen der Hilfsgelder geführt. CARE listet Uganda daher als eine der zehn größten vergessenen humanitären Krisen weltweit.

Auch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen ist vor Ort Die Rationen wurden allerdings stark reduziert.
Auch das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (W.F.P.) ist vor Ort. Die Rationen wurden allerdings stark reduziert.

© Florian Bayer

Schwerer Neubeginn

Die Geschichte von Alice, ebenfalls Geflüchtete im Rhino Camp, zeigt die Schwierigkeiten eines Neuanfangs. Die heute 26-Jährige wurde 2017 von Rebellen im Südsudan entführt. „Sie haben mich mit vorgehaltener Waffe zum Wassertrinken begleitet“, erzählt sie. Einen Monat lang hielten die Rebellen sie gefangen, beschuldigten sie, eine Spionin zu sein. Von acht verschleppten Mädchen überlebten nur drei.

In Uganda fand sie Zuflucht, wurde aber bald darauf schwanger. Der Vater des Kindes verstieß sie – aus Angst, sie könnte während ihrer Gefangenschaft vergewaltigt worden sein und HIV bekommen haben. „Ich verkaufte alles, was man mir gegeben hatte, nur um essen zu können“, erinnert sie sich. „Ich dachte auch daran, mich umzubringen.“

Doch Alice kämpfte sich durch. 2019 begann ihre Wende: CARE ermöglichte ihr eine Ausbildung zur Friseurin. Heute hat sie drei Kinder, ihre erstgeborene Tochter und Zwillinge. Sie flicht Zöpfe, drei Stunden Arbeit für 10.000 Uganda-Schilling (2,60 Euro). Zusätzlich engagiert sie sich ehrenamtlich und hilft anderen.

Alice vor ihrem kleinen Haus im Rhino Camp
Alice vor ihrem kleinen Haus im Rhino Camp.

© CARE Österreich

Gesundheitsversorgung am Limit

Ortswechsel. Über Schotterpisten voller Schlaglöcher geht es ins Gesundheitszentrum Omugo – ein kleines Krankenhaus mit weitem Einzugsgebiet. Dort kämpft ein Team von vier Ärzten und sechs Hebammen um die Versorgung von rund 45.000 Einheimischen sowie Zehntausenden Geflüchteten. „Täglich kommen etwa 150 Patienten und wir haben bis zu 20 Geburten“, sagt ein Mitarbeiter.

Es fehlt an fast allem. „Die staatlichen Medikamentenlieferungen reichen meist nur für anderthalb Wochen“, berichtet der 29-jährige Arzt. Ein Antibiotika-Paket kostet 40.000 Uganda-Schilling (etwa 10,30 Euro) und ist für viele unerschwinglich. Eine Liste an der Wand zeigt, welche Antibiotika, Schmerzmittel und andere Medikamente gerade fehlen. Es sind viele.

Besonders dramatisch ist der Mangel an Medikamenten für psychische Erkrankungen. Diese betreffen rund 60 Prozent aller Haushalte, berichtet uns ein Arzt. Depressionen und Suchterkrankungen – vor allem Alkohol – seien weit verbreitet. Bei den Flüchtlingen kommen oft Traumata hinzu. Auch häusliche Gewalt sei ein Problem.

Ein großes Problem sind auch Schwangerschaften im jungen Alter, oft schon mit 12, 13 Jahren. Das gesundheitliche Risiko bei so jungen Müttern ist besonders hoch. Auch die Zukunftsperspektiven engen sich durch eine derart junge Mutterschaft noch vor dem Schulabschluss ein. Organisationen wie CARE versuchen, ein Umdenken zu bewirken, doch das dauert.

Klimawandel verschärft die Not

Uganda ist zwar weitgehend stabil und sicher, das Bruttoinlandsprodukt liegt aber bei nur 1.108 Euro pro Kopf und Jahr. Die Armut sieht man, hier im Nordwesten des Landes, allerorten. Kinder gehen oft kilometerweit in die Schule, ihre Eltern genauso weit zu den Feldern, die sie bewirtschaften. Gewerbe oder Industrie gibt es in dieser dörflich geprägten Region kaum.

Die Aufnahmegesellschaft ist kaum wohlhabender als die Geflüchteten selbst. Deshalb machen Hilfsorganisationen oft wenig Unterschied zwischen beiden Gruppen, denn die Probleme sind die gleichen. „Die Einheimischen sind genauso vulnerabel wie Geflüchteten“, erklärt ein Helfer.

Ein immer größeres Problem ist der Klimawandel. Früher gab es drei Ernten pro Jahr, heute sind es nur mehr zwei. „Seit 2019 ist das Klima nicht mehr stabil“, berichtet eine Bäuerin im Lager Yumbe, das zu Bidi Bidi gehört. „Von Mai bis Juni haben wir überhaupt keinen Regen gesehen. Alle Pflanzen sind vertrocknet – auch die Setzlinge, die wir von den Hilfsorganisationen bekommen haben.“

Die Hitze macht den Menschen zusätzlich zu schaffen: Es gibt mehr Malariafälle, auch mehr Kreislauf-Erkrankungen. Und das Wasser wird zunehmend knapp, denn Brunnen und Quellen trocknen aus. Ein Problem, das sich wohl noch verschärfen wird.

Trotz aller Widrigkeiten beschreiben unsere Gesprächspartner:innen die Aufnahme der Geflüchteten als ausschließlich positiv. Märkte wurden durch sie wieder belebt, wie es heißt. Auch brachten sie neues Leben in die abgeschiedenen Dörfer. Uganda hält trotz aller Schwierigkeiten an seiner offenen Flüchtlingspolitik fest. „Selbst wenn der Krieg im Südsudan wieder von neuem ausbricht, werden wir die Flüchtenden aufnehmen“, versichert uns ein hochrangiger Beamter. Die Herausforderung wird sein, diese Gastfreundschaft trotz zurückgehender internationaler Hilfe aufrechtzuerhalten.


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Infos und Quellen

Genese

Die Recherchereise fand auf Einladung von CARE Österreich und der Familie Scheuch Privatstiftung statt.

CARE ist seit 1969 in Uganda aktiv. Die Organisation trägt das österreichische Spendengütesiegel und führt derzeit vier Projekte in Uganda durch: zur Prävention von Gewalt an Frauen, Integration von Flüchtlingen oder zur Förderung von wirtschaftlicher Bildung etwa. Finanziert werden sie unter anderem auch aus Mitteln der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit.

Solche Projekte werden oft auf Pressereisen hergezeigt, zu denen Journalist:innen eingeladen werden. NGOs machen das, um Einblicke aus erster Hand auch aus entlegenen Regionen zu ermöglichen. Sie haben Ortskenntnisse und Hintergrundwissen, gleichzeitig ist das Programm weitgehend vorgegeben und meist sehr dicht. Zusätzliche Recherchen sind dadurch nur eingeschränkt möglich. Diese Reportagen unterliegen also gewissen Einschränkungen, geben nichtsdestotrotz einen authentischen Einblick.

Gesprächspartner:innen

  • William Asio, stellvertretender Leiter von Bidi Bidi

  • Geflüchtete u.a. im Rhino Camp Omugo und in Bidi Bidi

  • Einheimische im Dorf Terego

  • Medizinisches Personal im Omugo Health Center

  • Leitung UNHCR-Regionalbüro Arua

  • Team von CARE Österreich sowie lokale Helfer:innen

Daten und Fakten

  • Uganda zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Mit einem Bruttosozialprodukt von nur 880 Euro pro Kopf und Jahr belegte das Land 2023 den neunten Platz im CARE-Bericht über vergessene humanitäre Krisen.

  • Die Bevölkerung ist sehr jung – das Durchschnittsalter liegt bei 15,7 Jahren – und wächst schnell, mit durchschnittlich 4,2 Geburten pro Frau. Gleichzeitig beherbergt Uganda mehr Geflüchtete als jedes andere afrikanische Land: Fast 1,7 Millionen Menschen haben hier Zuflucht gefunden, die meisten aus dem Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo und Somalia. 57 Prozent sind Kinder, davon 40 Prozent unter zwölf Jahre alt.

  • Seit 2006 verfolgt Uganda eine der fortschrittlichsten Asylpolitiken weltweit. Der „Refugees Act“ garantiert Bewegungsfreiheit und das Recht auf Arbeit. Doch die kontinuierliche Zuwanderung seit 2017, kombiniert mit dem natürlichen Bevölkerungswachstum von drei Prozent jährlich, setzt die aufnehmenden Gemeinden zunehmend unter Druck.

  • Verschärft wird die Situation durch massive Kürzungen der humanitären Hilfe. Diese wirken sich auf alle Bereiche aus: von Nahrungsmittelrationen über medizinische Versorgung bis hin zu Hygienepaketen für Neuankömmlinge. Die medizinische Versorgung ist besonders im Norden und Westen des Landes, wo sich viele Flüchtlingssiedlungen befinden, eine große Herausforderung. Die Müttersterblichkeit ist mit 284 je 100.000 Lebendgeburten sehr hoch, verstärkt durch die hohe Zahl minderjähriger Schwangerer.

  • Der Klimawandel trifft Uganda besonders hart. Allein von Jänner bis Juni 2023 wurden Überschwemmungen, Dürren, Erdrutsche, Waldbrände und Unwetter in mehr als zehn Distrikten registriert. In der von klimabedingten Ernteausfällen besonders betroffenen Nordostregion leiden 45 Prozent der Bevölkerung an Hunger.

  • Die Hilfsorganisation CARE ist seit 1969 in Uganda tätig. Die Organisation konzentriert sich auf die Unterstützung von Geflüchteten, die Bereitstellung von Wasser-, Sanitär- und Hygieneeinrichtungen sowie die Schaffung von Lebensgrundlagen. Ein besonderer Fokus liegt auf der Stärkung von Frauen und Mädchen, der Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt sowie der Bereitstellung von Informationen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit.

Quellen

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