Viel mehr blickte man auf die Bodenoffensive im Libanon: Den Einmarsch israelischer Elite-Einheiten am Montagabend in den Süden beschrieb der Armeesprecher mit „punktuellen Zielen und beschränkter Reichweite“. Von einer zeitlichen Eingrenzung war in der Verlautbarung der Armee nicht die Rede. „In den Libanon geht es leichter rein als raus“ – eine bittere Erfahrung, die Israel in den letzten Jahrzehnten mehrfach machen musste.
Israel möchte die Schiitenmiliz Hisbollah von der Grenze nach Norden abdrängen, was sich zu einem regionalen Krieg mit unabsehbaren Folgen ausweiten könnte. Die USA unterstützen die Bodenoffensive zögernd. Die Rückkehr von über 60.000 Evakuierten in ihre vor einem Jahr geräumten Grenzorte ist ein gerechtfertigtes Ziel. Dennoch mahnt Washington: Die diplomatischen Bemühungen um eine Befreiung von über 100 israelischen Geiseln aus den Hamas-Kellern im Gazastreifen müssen weitergehen. Ein Abkommen im Süden wäre auch der Schlüssel zu einer Entspannung im Norden.
Doch Hamas-Führer Jechije Sinwar ist derzeit weder für die Hamas-Auslandsführung und noch weniger für die arabischen Vermittler zu sprechen. Er wartet eine Klärung der Lage mit Entscheidungen der Hisbollah und der iranischen Patrone ab und fürchtet israelische Attentate. So oder so steht Sinwars Preis für ein Abkommen fest: Für ihn läuft nichts ohne eine längerfristige Kampfeinstellung zwischen Israel und Hamas.
„Bibis“ Ansehen steigt wieder
Israels Premier Benjamin Netanjahu ist dieser Preis zu hoch. Einer Kampfeinstellung würde eine offizielle Untersuchung des Versagens von Regierung und Armee am 7. Oktober 2023 folgen – und wohl auch ein Ende der Amtszeit Netanjahus. Nach den Sprengsatzzündungen an den Pagern Tausender Hisbollah-Kämpfer und den tödlichen Attentaten auf fast die gesamte Hisbollah-Führung stieg das Ansehen des Premiers wieder. Die Stimmung in den meisten Medien lässt sich euphorisch beschreiben. Bis vor Kurzem war Netanjahu noch „der schlechteste Premier Israels aller Zeiten“. Jetzt konnte er durch die Aufnahme einer kleinen Rechtspartei sogar noch seine Regierung erweitern.
Netanjahus Problem bleibt somit die US-Regierung, die sich durch sein unabhängiges Vorgehen brüskiert fühlt. Zusammen mit Frankreich bemühen sich die USA seit Jahren um eine Beilegung der Spannungen im Libanon und die Umsetzung des Sicherheitsratsbeschlusses 1701, der seit 2006 vergeblich die Einordnung der Hisbollah unter die libanesische Regierung fordert – ohne Erfolg.
Die libanesische Regierung muss sich bis heute den Machtansprüchen der Hisbollah fügen. Wie die Hamas hüllt sich nach Beginn der Bodenoffensive die Schiitenmiliz in Schweigen. Eine neue Führung muss sich nach dem Attentat auf den fast allmächtigen Führer Hassan Nasrallah bilden. Auch die Kommunikation mit der iranischen Mullah-Regierung liegt darnieder. Was nicht heißt, dass keine Raketen und Drohnen der Hisbollah in Richtung Israel abgefeuert werden. Am Dienstag schlugen sogar die Sirenen in Tel Aviv Alarm. Doch kann bislang nicht von einem unkontrollierten Einsatz aller Waffen die Rede sein.
Ziel: Hisbollah-Entmachtung
Optimisten sehen jetzt auch eine neue Chance, den Libanon aus seiner politischen und wirtschaftlichen Lähmung der letzten Jahre zu erlösen. Pläne dazu liegen auf dem Tisch. Hassan Nasrallah zeigte sich interessiert, machte eine Einwilligung aber vom Kampfende mit der Hamas im Gazastreifen abhängig. Die „vollständige Entmachtung der Hamas“, wie sie Netanjahu zum Ziel gesetzt hat, ist mehrdeutig zu verstehen. Er formulierte auch die militärischen Ziele im Südlibanon schwammig: „Die sichere Rückkehr der Evakuierten in ihre Häuser“ hänge vor allem vom Sicherheitsgefühl der Evakuierten selbst ab. Und das ist bis heute stark verunsichert.
Israels Öffentlichkeit erwartet einen entscheidenden Schlag gegen die Hisbollah. Nach fast einem Jahr schleppender Kriegsführung im Süden erscheint der aber auch im Norden kaum erreichbar. In der jetzigen Euphorie reden die Hardliner sogar davon, den nördlichen Gazastreifen in eine entvölkerte Sicherheitszone zu verwandeln. Auch im Südlibanon wäre für die Radikalen eine neue Sicherheitszone wieder eine Option.