Es ist die – zu Recht – derzeit am öftesten gestellte Frage: Wie geht es jetzt weiter, nachdem auch die blau-türkisen Regierungsverhandlungen geplatzt sind?
Nach wie vor sind die von Bundespräsident Alexander Van der Bellen genannten vier Optionen am Tisch: Neuwahl, Expertenregierung, Minderheitsregierung oder es findet sich doch noch eine Koalition mit einer stabilen Mehrheit. Offiziell wird zur Stunde noch geredet und sondiert, beim Gegenüber abgewogen, wo die roten und die grünen Linien sind und in welchen Bereichen Bewegung möglich wäre.
Aber offiziell hat derzeit kein Spitzenpolitiker den Auftrag des Bundespräsidenten, mit anderen Parteien über eine Regierung mit einer tragfähigen Mehrheit im Parlament zu verhandeln.
Am wahrscheinlichsten ist derzeit ein neuer Anlauf für Türkis-Rot auch mit einer Beteiligung der Neos.
Doch während der Verhandlungen und nach deren Abbruch Anfang Jänner wurde zweifellos viel Porzellan zerschlagen, das jedenfalls erst sortiert und neu zusammengesetzt werden muss, damit eine notwendige, vertrauensvolle Basis für Verhandlungen geschaffen werden kann.
Bei der anhaltenden Suche nach einer Regierung geht es auch um die Frage des Personals, also der Parteichefs und Verhandlungsführer. In allen Parteien gibt es (leise) Stimmen, wonach mit anderen Parteivorsitzenden vielleicht bessere Verhandlungsergebnisse möglich wären. Wahrscheinlich ist das aber bei keiner Partei, zeigt die KURIER-Analyse der fünf Parlamentsparteien wenige Tage nach der blau-türkisen Implosion.
Und Türkis-Rot? Die alten Verhandlungsprotokolle zeigen recht deutlich, wo überall Bruchlinien vorhanden waren : etwa bei der Frage nach einer Senkung der Lohnnebenkosten, einer Zusammenlegung der Sozialversicherungen samt Auflösung der Unfallversicherung AUVA, bei der Frage, wie man leistbares Wohnen ermöglichen soll und wie die staatlichen Sozialleistungen oder die Arbeitslosenversicherung reformiert werden könnten.
Bis dahin gilt das Wort des Bundespräsidenten: „Wir haben eine Bundesregierung – und wir werden eine Bundesregierung haben.“
FPÖ: Kickl wird nicht Kanzler – dafür FPÖ-Chef bleiben
Auch Tage nachdem FPÖ-Chef Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag zurückgelegt hat, ist es ruhig innerhalb der FPÖ. „Bei uns sind die Reihen geschlossen“, so die Freiheitlichen.
Man stehe hinter FPÖ-Chef Herbert Kickl vor allem deshalb, weil er Wählern wie Funktionären vor laufenden Kameras „seine Geschichte“ des Scheiterns der Gespräche erzählt habe. Seine Version sei glaubwürdig und würde sich bei der nächsten Wahl, wann immer diese stattfinde, in einem noch besseren Votum niederschlagen, ist man sich sicher.
Es sind jedoch nicht nur Wahlen und gute Umfragewerte (bis zu 35 Prozent), die Kickl an der Spitze sakrosankt sein lassen. Erstens dränge niemand anderer nach vorne, heißt es auf KURIER-Nachfrage. Und zweitens, und das sei das viel Gewichtigere: „Die FPÖ im Bund muss man getrennt von den Ländern sehen.“ Die Länderchefs, vor allem jene in NÖ, OÖ, Salzburg , Vorarlberg und der Steiermark, würden „autonom agieren und regieren“
ÖVP: Stocker, der Anwalt, der gekommen ist, um zu bleiben
Niemand hatte ihn auf dem Radar: Als Karl Nehammer im Jänner überraschend alle Funktionen zurücklegte, stand plötzlich Rechtsanwalt Christian Stocker im Mittelpunkt. Stocker? Was? Wie?
Wenige Wochen nach der Rochade hat der 64-jährige ÖVP-Chef mehr Fans als man glauben möchte. Sollte er erfolgreich einen Regierungspakt verhandeln, gilt es als fix, dass Stocker Kanzler wird.
Die oft ins Spiel gebrachte Karoline Edtstadler gilt intern als Reserve – vor allem dann, wenn man in einen Wahlkampf zieht. Das Timing ist schlecht: Mit 1. Februar hat Edtstadler Salzburgs ÖVP übernommen, im Juli soll sie Landeshauptfrau werden.
„Der Bund ist keine Option“, heißt es aus ihrem Umfeld. Bleibt’s dabei? Wer weiß. Und dann gibt es noch Sebastian Kurz. Dessen Strahlkraft wird heute nüchterner gesehen. Dass es Kurz ins Politische zieht, ist sicher. Ob in der ÖVP oder mit eigener Liste, entscheidet sich wohl erst am Tag, an dem Neuwahlen fix sind.
SPÖ: Babler bleibt, Ludwig will seinen Einfluss vergrößern
Man könnte es das rote Paradoxon nennen: Je stärker die Angriffe von innen und außen auf den SPÖ-Chef, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass sich Andreas Babler zurückzieht. Und das trotz zweier enttäuschender Wahlen auf Bundesebene und dem Scheitern der Verhandlungen mit ÖVP und Neos im Jänner, welches viele Genossen auch ihm persönlich ankreiden.
Die Türkisen sowieso: In einem – taktisch wenig ausgeklügelten Schritt – hatte sich daher zuletzt Tirols Landeshauptmann Anton Mattle für Verhandlungen mit der SPÖ, aber ohne Babler ausgesprochen. Womit er erreichte, dass sich die Reihen der Genossen hinter ihrem Chef dicht schlossen. Über die Dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures im Verhandlerteam will Wiens Bürgermeister Michael Ludwig diesmal stärkeren Einfluss auf die Koalitionsgespräche nehmen. Vor der Wien-Wahl im April ist die Ablöse Bablers kein Thema, zumal sich auch kein geeigneter Gegenkandidat aufdrängt.
Neos: Pinke Parteichefin ohne interne Konkurrenz
Eigentlich könnte man sie in Grund und Boden kritisieren: Als einzige Siegerin der Wahl ging Beate Meinl-Reisinger in die Dreierkoalitionsgespräche; erstmals hatte sie die Chance, die Neos in die Regierung und ins Gestalten zu bringen. Und dann tat die 46-jährige, womit selbst führende Verhandler von ÖVP und SPÖ nicht rechneten: Sie brach mangels großer Reformen ab und verzichtete auf die Regierungsbeteiligung.
Tatsächlich gibt es bei der jüngsten Parlamentspartei dennoch keine Absetzbewegung von Meinl-Reisinger. „Unsere Wähler sind mindestens so kritisch wie die der Grünen“, heißt es im Führungszirkel. Und das wiederum bedeute für Meinl-Reisinger: Nur wenn ein, zwei große Reformprojekte nachweisbar sind, können die Neos in eine Regierung gehen. „Andernfalls“, sagt ein Parteistratege, „zerlegt es uns.“ Klingt übertrieben? Parteiintern gelten die Grünen als warnendes Beispiel, die 2017 sogar aus dem Parlament flogen.
Grüne: Konstruktive Mitarbeit, ohne sich aufzudrängen
Erst einmal abwarten, lautet die Devise bei den Grünen. Abwarten, ob SPÖ und ÖVP auf einen Nenner kommen – und wen sie als dritten Partner einladen. Klar sei, heißt es: „Wenn eine Einladung kommt, werden wir sie annehmen.“ Wobei es nicht so wirkt, als würden sich die Grünen darum reißen.
Einerseits, weil sie bei den bisherigen Verhandlungen nur Zuschauer waren und sich entsprechend auch nicht selbst beschädigt haben. Zweitens, weil sich viele im Klub nach fünf Jahren Koalitionsarbeit und Kompromissen schon freudig darauf eingestellt haben, in den kommenden fünf Jahren Opposition zu machen – „konstruktiv“, wie Parteichef Werner Kogler nach innen wie außen betont.
Sollte es zu Verhandlungen kommen, dürfte Kogler auch das grüne Team anführen, bevor er im Juni den Parteivorsitz abgibt – im Falle von Neuwahlen schon früher. Offen ist weiterhin, wer ihm nachfolgt. Im Rennen sind die Noch-Ministerinnen Alma Zadić und Leonore Gewessler, die aber erst in ihre neuen Rollen finden müssen.