In zwei Tagen ist Nationalratswahl. Und eine Sache ist dabei so gut wie sicher: Österreich wird auch 2024 keine Bundeskanzlerin bekommen. Was wir für völlig normal halten, sollte eigentlich ein Skandal sein.
Denn von den neun bundesweit zur Wahl stehenden Parteien werden nur zwei von Frauen geführt – die Neos mit Beate Meinl-Reisinger und die Liste Madeleine Petrovic mit, nun, Madeleine Petrovic. Eine Spitzenkandidatinnenquote von 22,22 Prozent ist bei einem 50,7-Prozent-Frauenanteil in der österreichischen Bevölkerung nicht gerade das, was ich angemessene Repräsentanz nennen würde. Die erste gewählte Bundeskanzlerin des Landes bleibt also auch 2024 Wunschdenken. Medial wird das nicht einmal thematisiert, ganz so, als wäre es völlig normal, dass Österreichs Bevölkerung nun eben von Männern repräsentiert wird, nun eben von Männern regiert wird, dass eben nur Männer in höchste politische Machtpositionen gewählt werden. Ganz so, als würden wir es nicht einmal bemerken, weil es ja nie anders war.
Nur Männer
16 Männer waren in Österreich in der zweiten Republik bislang Bundeskanzler, einmal war es mit Brigitte Bierlein eine Frau, allerdings nur als nicht-gewählte, vom Bundespräsidenten ernannte Übergangslösung. 16:1 also. Ein Verhältnis, das wir offenbar völlig normal finden, so normal, dass wir nicht mal mehr darüber sprechen. Neun Bundespräsidenten gab es in Österreich bislang. Keine einzige Frau. 9:1. Ein Verhältnis, das wir offenbar völlig normal finden, so normal, dass wir nicht mal mehr darüber sprechen. Dass Österreich diese völlige Abwesenheit von Frauen in machtvollen und repräsentativen politischen Spitzenämtern im internationalen Vergleich nicht unendlich peinlich ist, ist erstaunlich. So selbstverständlich ist männliche Vorherrschaft, dass sie gar nicht erst als solche auffällt. Wir finden das alles normal und bemerken es gar nicht.
Die Frauenfrage
Und wenn es eine bemerkt, wenn eine mal anmerkt, dass 50 Prozent der Bevölkerung völlig ausgelassen werden, nicht repräsentiert werden, nicht mit dabeisitzen, wenn die großen und wichtigen Entscheidungen getroffen werden, dann bekommt sie zu hören, dass es Wichtigeres zu besprechen gibt, dass wir doch, bitte, jetzt, vor allem jetzt (vor allem jetzt ist immer) größere Probleme haben. Um die Frauenfrage wird sich später gekümmert, wenn alle anderen Fragen gelöst sind. Wenn alle anderen Fragen ohne die Frauen gelöst sind. Wenn alle anderen Fragen ohne die Frauen zur Zufriedenheit der Männer gelöst sind.
Alle Fragen sind Frauenfragen
Die Sache ist aber eben die: Alle Fragen sind feministische Fragen. Alle Fragen sind Frauenfragen. Sie sind es nur bislang nicht (ausreichend), weil Frauen nicht (ausreichend) mitreden. Inflation ist ein feministisches Thema. Bildungspolitik ist ein feministisches Thema. Gesundheitspolitik ist ein feministisches Thema. Klimapolitik ist ein feministisches Thema. Kriege und ihre Auswirkungen sind feministische Themen. Weil Frauen und Mädchen von all diesen Problemen betroffen sind, oft in anderer Art und Weise und meist in einem weitaus größeren Ausmaß als Männer. Wenn Frauen an Entscheidungstischen sitzen – und zwar an tatsächlich entscheidenden Positionen – ist die Chance, dass genau das auch mitgedacht wird, um einiges größer. Ohne die Perspektive von Frauen lässt sich keine Krise lösen. National wie international.
In Österreich ist man an einer nachhaltigen Lösung für Probleme aber offenbar nicht ausreichend interessiert; wäre man das, würde man Politik nicht weitgehend ohne eine ganze Hälfte der Bevölkerung machen und nicht weitgehend an einer ganzen Hälfte der Bevölkerung vorbei. Wenn also argumentiert wird, man hätte jetzt keine Zeit für dieses Frauenzeug, dieses Feminismuszeug, weil man echte Probleme habe, die es zu lösen gelte, wird nicht erkannt, dass es genau all das Feminismuszeug (für das wir keine Zeit haben) braucht, um die echten Probleme zu lösen. Abgesehen davon, dass diese vielleicht so nicht entstanden wären, hätten Frauen schon früher an entscheidenderen Positionen mitregiert. National wie international.
Frauenpolitisch: gähnende Leere
Aber nicht nur personell, auch inhaltlich ist im aktuellen Nationalratswahlkampf frauenpolitisch kaum etwas zu vernehmen. Wer den österreichischen Nationalratswahlkampf verfolgt, gewinnt den Eindruck, Frauen wären eine kleine Randgruppe, der man kein geeignetes Angebot machen muss, weil sie eh bei weitem nicht wahlentscheidend ist. Die Grünen wollen kostenlose Kindergartenplätze ab dem ersten Lebensjahr. Ja eh. Die SPÖ will mehr Gewaltschutz, mehr Kinderbetreuung und „mehr Tempo bei der Gleichberechtigung der Geschlechter“. Dass sie die erste potenzielle Bundeskanzlerin – Pamela Rendi-Wagner – abgesägt haben, war offenbar aber nicht Teil ihres Plans zur Gleichberechtigung. Die Neos fordern automatisches Pensionssplitting und ebenso einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr.
Und die ÖVP, na ja, die brachte erneut den Vorschlag einer sogenannten „Großelternkarenz“ ein, die in der Praxis vor allem eine Omakarenz sein würde (oder wird) – ganz nach dem Motto: alles tun, um nur ja nicht Männer dazu zu bewegen, ihren Anteil an Fürsorgearbeit zu erledigen, und Frauen mit noch mehr jener Arbeit, die eigentlich Männer erledigen sollten, zu überladen.
Dass in der nächsten Legislaturperiode frauenpolitisch irgendetwas Progressives passiert, können wir uns vermutlich also erneut abschminken. Aber wir haben ja ohnehin wichtigere Probleme.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.