Doch nein, er spielte eher auf das Musical „Hair“ an: Vor dem Funkhaus und später in einem ehemaligen Sendesaal sangen Hippies, begleitet von der Band Caravan of LUV, soulig über die Liebe. Milo Rau stimmte enthusiasmiert in den Refrain der diesjährigen Hymne der Freien Republik Wien („V is for LoVe!“) ein und schlug das Tamburin. Herzergreifend.
Die „Show“ – Milo Rau bezeichnet Theatervorstellungen generell gerne als „Show“ – beinhaltete auch eine Teufelsaustreibung rund um ein loderndes Feuer: Die slowenische Performerin Nika Korenjak verkörperte eine Schamanin, die das Funkhaus vom Fluch des Faschismus und des Nationalsozialismus befreite. Schließlich ist das Gebäude, von 1935 bis 1939 errichtet, heuer das Festivalzentrum. Caravan of LUV, von Leader Elia Rediger als Kommune bezeichnet, lädt mehrfach zu Happenings ein, beginnend mit „Healing Herbert“. Und auf drei Etagen realisiert das österreichisch-dänische Kollektiv Signa unter dem Titel „Das letzte Jahr“ eine sechsstündige „Zeitreise an das Ende des eigenen Lebens“. Riesige Empfehlung!
Beim Feuertanzspektakel assistierten Olga Shapolavola und Richard August-Chi, prächtig kostümiert unter anderem mit einem voluminösen Plastik-Bastrock. Es ist ja Fasching. Dann wurde rote Farbe ins Feuer geschüttet, und die Kameraleute, die dem Treiben nicht nah genug sein konnten, schreckten hoch.
Ums Programm ging’s dann doch auch: Unter den 48 Events von 16. Mai bis 22. Juni sind elf Weltpremieren und zehn Eigenproduktionen. Milo Rau wird auch den Prozess gegen Dominique Pelicot, der seine Frau Gisèle fast zehn Jahre lang immer wieder mit Medikamenten betäubt, vergewaltigt und in Internetforen anderen Männern zur Vergewaltigung angeboten hatte, rekonstruieren – in Form von „zwei rituellen Lesenächten“: am 18. Juni im Funkhaus mit Mavie Hörbiger, am 18. Juli in Avignon.
Im Rahmen seiner Show begrüßte Rau überschwänglich Veronica Kaup-Hasler, die doch nicht in den Bund wechselt (es gab diesbezügliche Gerüchte): Michaela Schmidt wird als Staatssekretärin im Vizekanzleramt unter Andreas Babler für Kunst, Kultur und Sport zuständig sein. Die Nationalratsabgeordnete, 1983 in Salzburg geboren, war Mitglied im SPÖ-Verhandlungsteam für Wirtschaft und Infrastruktur; eine Affinität zur Kunst fiel bisher nicht auf.
Rau also verlieh seiner Freude Ausdruck, dass ihm Kaup-Hasler als Kulturstadträtin erhalten bleibe. Diese lächelte tapfer. „Ich bin eine überzeugte Lokalpolitikerin“, sagte sie. „Mörbisch kann auch jemand anderer eröffnen!“ Ui, das war ein Foul. Denn die Seefestspiele sind der Stolz des burgenländischen Landeshauptmanns, eines überzeugten Lokalpolitikers, und Ihr Tratschpartner kann sich nicht an eine offizielle Eröffnung durch den Kulturminister erinnern.
Bei Musicals rümpft Kaup-Hasler ja gern die Nase. Umso sonderbarer ist es, dass sie sich in einer Aussendung über die Vertragsverlängerung von Christian Struppeck, dem Musical-Intendanten der Vereinigten Bühnen Wien, freute.
Ihr Tratschpartner hatte bereits im März 2024 bezüglich der anstehenden Personalentscheidungen Fragen an die VBW-Geschäftsführung unter der Leitung von Franz Patay gestellt. Die Antwort lautete damals: „Wie Sie richtig schreiben, läuft der Vertrag für die Musicalintendanz noch bis Mitte 2025 und der Vertrag für die Geschäftsführung der VBW bis Frühjahr 2026. Die notwendigen Schritte der damit verbundenen Ausschreibungen bzw. Personalentscheidungen werden zeitgerecht gesetzt. Die Medien werden rechtzeitig davon informiert.“
Immer wieder fragte Ihr Tratschpartner nach, immer wieder wurde er vertröstet, etwa im Herbst: „Bzgl. Ihrer Fragen zur Musicalintendanz und Geschäftsführung werden wir Sie rechtzeitig informieren.“ Und auch am 20. Jänner: „Ich muss Sie noch um ein wenig Geduld bitten.“
Was soll man sagen? Am 25. Februar gaben die VBW in einer Aussendung bekannt: „Die Intendanz der beiden Musicalhäuser der VBW – Raimund Theater und Ronacher – bleibt weiterhin unter der bewährten Leitung von Christian Struppeck, der auf eine beachtliche Erfolgsbilanz zurückblicken kann.“
Der Deutsche ist bereits seit 2012 Musical-Intendant – und er wird es nun bis zum Herbst 2030 bleiben. Sein Vertrag wurde einfach im stillen Kämmerchen verlängert – ohne vorherige Ausschreibung. Kaup-Hasler bestätigt dies. Sie trifft allerdings keine Schuld: Für das Herzstück der Wiener Kulturpolitik ist nicht sie zuständig, sondern der Finanzstadtrat. Geschickt wurde die nochmalige Vertragsverlängerung von Struppeck mit der ersten Vertragsverlängerung von Stefan Herheim, dem Direktor des Musik-Theaters an der Wien kombiniert. So funktioniert sozialdemokratische Personalpolitik geradezu mustergültig: fair und transparent.
Auch das Volkstheater unter der Leitung von Kay Voges praktiziert die Taktik, Sachen auszusitzen. Für 22. Februar war die Uraufführung „Mayröcker (Punkt)“ mit Texten der Schriftstellerin Friederike Mayröcker angekündigt. Bei der Ticketplattform oeticket konnte man Karten kaufen. Aber es gab keine Uraufführung. Interessanterweise sah sich das Volkstheater nicht veranlasst, die Absage zu kommunizieren. Ihr Tratschpartner fragte bei Regisseurin Luise Voigt nach. Ihre Antwort: „Es hatten sich unvorhergesehene Finanzierungsprobleme ergeben, so dass uns die Arbeit überraschend abgesagt wurde. Von allen Seiten schweren Herzens. Wir hätten diesen Abend wahnsinnig gerne gemacht und werden ihm wohl noch lange nachtrauern.“
Das Volkstheater bestätigte, dass sich eine „finanzielle Lücke“ aufgetan hätte. „Von einer offensiveren Kommunikation nach außen“ sei „in enger Absprache mit dem künstlerischen Team Abstand genommen“ worden.
Was soll man sagen? Das Volkstheater füllte die Lücke. Am 23. April lädt es zur Gala-Premiere des Films „Der Soldat Monika“ ein. In der Hauptrolle: Monika Donner. Sie gilt, so liest man auf Wikipedia, als „Star der rechten und rechtsextremen Szene“. Kann schon sein, dass der Film von Paul Poet die sonderbare Figur bloßstellt, die beim Bundesheer zur Gehorsamsverweigerung ermunterte. Ob das Volkstheater aber gleich Kino sein muss?
Übrigens: Vier Tage später, am 27. April, wird in Wien gewählt.