Startseite Kultur „Wiener Realismus“ im MUSA: Die Kreatürlichkeit des Menschen

„Wiener Realismus“ im MUSA: Die Kreatürlichkeit des Menschen

von Max

Wer sich trotz des unaufgeregten Titels nicht vom Besuch abbringen lässt, wird seine Überraschung erleben: So viel Fleisch – üppig, deformiert, unansehnlich, zur Schau gestellt wie auch am Haken – hat man schon länger nicht gesehen.

Kritische Antithese

In den frühen 1950er-Jahren formierte sich, so liest man im ausführlichen Katalog, eine lose, links bis kommunistisch orientierte Künstlergruppe mit kritischer Haltung gegenüber nachfaschistischen Tendenzen sowie sozialen Missständen aller Art. Der „Wiener Realismus“ verstand sich somit als Antithese zur plakativen, am Kunstmarkt höchst erfolgreichen „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ – und mehr noch als Antithese zur angesagten Abstraktion, wie sie von den Künstlern der Galerie nächst St. Stephan (darunter Arnulf Rainer) vertreten wurde.

Den Kern der Wiener Realisten bildeten Georg Eisler, Hans Escher, Alfred Hrdlicka, Fritz Martinz und Rudolf Schönwald – durch die Bank Männer. Auch Rudolf Schwaiger, Schüler von Fritz Wotruba, und Adolf Frohner, der sich zwischendurch als Aktionist versucht hatte, wurden der Gruppe zugeordnet. Später kamen ein paar Frauen hinzu, darunter Florentina Pakosta.

„Realismus“ verstand man als Haltung, nicht als Stil: Man äußerte sich über die immer gegenständliche Kunst gegen die Ausbeutung und Unterdrückung der Schwachen, indem „die Kreatürlichkeit des Menschen“ in den Vordergrund gestellt wurde – samt Begehren, Leid, Einsamkeit und existenziellen Herausforderungen. Am realistischen Abbild hatten die Künstler wenig Interesse, ihnen ging es um die Übersteigerung der Realität, um „eine in die Unwirklichkeit gesteigerte Wirklichkeit“ bis hin zur Groteske und Karikatur.

Die von Brigitte Borchhardt-Birbaumer und Berthold Ecker äußerst kundig zusammengestellte Schau geht mehr oder weniger chronologisch vor und beginnt mit dem Konvolut „Soldatentreffen“, einer Mappe mit 24 Linolschnitt-Drucken von Rudolf Schönwald (unter dem Pseudonym Otto Schemansky), Georg Eisler, Alfred Hrdlicka und Fritz Martinz. Angeprangert werden darin die Treffen der Kriegsveteranen und der ehemaligen Waffen-SS-Mitglieder, die immer penetranter geworden seien.

Hrdlicka zum Beispiel zeigt eine Schlange nackter Männer, wie Ochsen am Ring geführt, denen Gewehre ausgehändigt werden. Das düstere Blatt trägt den Titel „Schlachtvieh“. In der Folge stößt man unter anderem auf Fleischhauer-Bilder von Hans Escher und Schlachthaus-Gemälde von Fritz Martinz, darunter ein „Geschlachteter Ochse“ (1955). Da ist es nicht mehr weit zu den aufgehängten Stier-Kadavern, die Hermann Nitsch in seinen großen Aktionen ausweiden ließ.

Mit den Laufmetern rückt der weibliche Körper immer stärker ins Zentrum – als dargebotene Ware und als Lustobjekt: zum Beispiel in den expliziten Striptease-Szenen von Georg Eisler („Peeping-Tom-Show“, 1969) und in SM-Darstellungen von Adolf Frohner.

Körper und Fleisch

Die Themen Sexualität, Körper und Fleisch bleiben auch bei den Nachfolgern der Realisten dominant, unter anderem bei Günther Heinz, Josef Kern und Rainer Wölzl. Aber es gibt auch ein paar selbstbewusste, feministische Positionen: Gerda Fassel beeindruckt mit ihrer mächtigen, nackten Plastik „Große Sesselfrau“ aus 1981.

Die perfekt abgestimmte Kombination aus Bildern und Skulpturen, die miteinander in Beziehung stehen oder aufeinander verweisen, ist das besondere Highlight der Ausstellung. Es eröffnen sich immer wieder großartige, theatralische Szenerien. Da nimmt man gerne auch den Kitsch, den oberflächlichen Zeitgeist der 80er-Jahre (etwa von Arno Zambani) und die platten Karikaturen in Kauf.

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