Die Lederjacke, mit der Benjamin Vanyek aufgebracht über die Bühne geht, lässt gleich zu Beginn des Stücks keinen Zweifel offen: Die Stimmung ist schlecht. Denn das Smiley, das punkig auf die Rückseite der Jacke gesprayt wurde, hat die Mundwinkel nach unten gezogen. Und – so viel sei verraten – die Laune wird in den kommenden eineinhalb Stunden nicht besser. Das liegt vor allem an den Themen, die das Aktionstheater im Jubiläumsstück (35 Jahre Aktionstheater) „Wir haben versagt“ im Theater am Werk verhandelt – Stichwort: Rechtsruck.
Bei der Wien-Premiere am Sonntag (die Uraufführung war bereits am 3. Dezember 2024 in Bregenz) wurde daher wenig gelacht, dafür mehr gerätselt: Was hat Österreich bloß so ruiniert? Wie konnte zu so einem brutalen Rechtsruck in diesem Land kommen? Und was soll unter einen Volkskanzler Kickl besser werden?
70 Minuten lang wird vor einer Videowand und dem Einsatz von Schaumkanonen räsoniert, warum es so weit gekommen ist, wie es gekommen ist. Moni (Monica Anna Cammerlander) ist ratlos, ihr fehlen die Worte bzw. sagt sie erst einmal gar nichts mehr. Genauer gesagt: Sie spricht nur noch in Gebärdensprache mit anderen. Neben ihr steht Thomas (Thomas Kolle) splitternackt, greift sich immer wieder auf seinen Penis (weil das die Leute angeblich so super finden) und übersetzt Monis Handbewegungen dem Publikum.
Selbstanklage
Der Titel des Abends lautet „Wir haben versagt“ – das ist selbstkritisch gemeint. Das Problem ist nämlich folgendes: „Seit Jahrzehnten kämpfen wir mühsamst und mit großen Schmerzen gegen den – nun ultimativen – Rechtsruck an. In unzähligen Performances haben wir versucht, dem fortschreitenden politischen und moralischen Verfall in Österreich und eigentlich überall wenigstens den Hauch einer Analyse abzuringen. Wortreich fragen wir uns, wie es soweit kommen konnte und finden keine Antwort“, schreibt das Aktionstheater auf ihrer Homepage.
Das über die Jahre immer wieder wechselnde Ensemble, das unter einer Konstante, nämlich der Regie von Martin Gruber agiert, macht seit 35 Jahren kritisches, hellwaches, gescheites, gesellschaftskritisches und linkes Theater – und was hat es gebracht? Die FPÖ an der Spitze der vergangenen Nationalratswahl.
Wahlkabine
Vor dieser Wahl war sich Benjamin Vanyek auch unsicher, was er wählen soll. Er habe dann online die Wahlkabine gemacht, was gar nicht so einfach war. „Da waren so Fragen wie: ,Soll eine Kindergrundsicherung eingeführt werden?`. Da musste ich zuerst mal nachschauen, was das genau bedeutet. Also sollen die Kinder mehr Geld bekommen? Nein, warum. Ich habe ja keine Kinder. Oder eine andere Frage: ,Sollen Lehrlinge ab dem ersten Lehrjahr mindestens 1.000 Euro verdienen?` Nein. Ich habe damals in meiner Lehre auch keine 1.000 Euro verdient. Das sehe ich nicht ein.“ Wer so denkt, denkt wie das FPÖ-Parteiprogramm. Denn am Ende seines Tests kommt – eh klar – die FPÖ heraus. Mit 80 Prozent. Mit weitem Abstand. „Ich habe mir immer gedacht, dass ich so ein Roter bin. Ich bin ja ein Wiener. Ich war davon überzeugt, das ist meine Partei. Dann habe ich es noch einmal gemacht. Dann kam wieder die FPÖ heraus“, hüpft Vanyek fassungslos aud der Bühne herum.
Dann geht das Wort an Zeynep Alan, die „Kollegin mit Migrationshintergrund“. Die Frau ohne Wahlrecht hat gewählt und zwar mit einem Trick. Großartig dann ihre Performance: Sie zeigt, wie sie mit „ihm, dem ganz Rechten“, reden würde. Ganz nahe würde sie ihm kommen, sein schönes Kinn mit der Zunge berühren, sein Gesicht, seinen Nacken, den Rücken hinunter …
Zwischen Ekstase und Depression
Der für Aktionstheater-Verhältnisse eher depressiv ausfallende Abend beginnt mit „The Future“, einem Lied von Leonard Cohen – gesungen von Danielle Pamp, musikalisch begleitet von Jean Philipp Vio, der auf einem Baugerüst steht, mal die Violine spielt, die Gitarre bearbeitet und extremschnelle Technobeats vom Laptop abspielt. Dazu gehen die Protagonisten dann auch ordentlich ab – 20 Sekunden Ekstase bevor wieder die Depression einfährt.
Das Schauspiel auf der Bühne ist gewohnt gut, flüssig – und wird mit großer physischer Präsenz dargeboten. Es ist, wenn man so will, ein „klassisches“ Aktionstheaterstück. Wer die Stücke von Martin Gruber kennt, weiß, dass er dabei mit Wiederholungen, Rhythmus arbeitet – und dabei meistens nach dem selben Schema vorgeht: Alle sind immer in Bewegung. Die Schauspieler reden andauernd über sich, hin und wieder auch miteinander – dabei aber oft aneinander vorbei. Niemand hört den anderen mehr richtig zu, obwohl alle gehört werden wollen. Vielleicht sind deswegen auch die Koalitionsverhandlungen gescheitert. Man weiß es nicht.
In „Wir haben versagt“ geht es aber auch um das Versagen als Theatergruppe, ums Scheitern der intellektuellen Blase. Man will als Künstler und Künstlerin, als Theatermacher, als Schauspielerin immer auch etwas ändern – dem Publikum mit auf den Heimweg geben. Als Zuseher löst das auch so einiges in einem aus, man sieht auf die Bühne und denkt über die Geschehnisse der jüngsten Tage nach, fragt sich, was alles hätte anders laufen können, müssen. Dazu erklingt Cohens „If It Be Your Will“ und tauchen auf der Projektionswand Bilder von Trump, Putin und Kim Jong-un auf. Hoffnung sieht anders aus. Die Mundwinkel hängen weiter – nach unten.
„Wir haben versagt“, eine performative Selbstanklage, Uraufführung von Martin Gruber und dem Aktionstheater Ensemble. Dramaturgie: Martin Ojster; Musik: Jean Philipp Viol; Bühne und Kostüme: Valerie Lutz; Video: Resa Lut; Film: Julius Hellrigl. Mit Zeynep Alan, Monica Anna Cammerlander, Thomas Kolle, Danielle Pamp, Benjamin Vanyek und Jean Philipp Viol. Alle Vorstellungen im Theater am Werk sind bereits ausverkauft. Restkarten nach Anmeldung möglich. Mehr Infos: https://www.theater-am-werk.at