Startseite Wirtschaft „Wir öffnen damit die Büchse der Pandora“: Wenn Marken Politik machen

„Wir öffnen damit die Büchse der Pandora“: Wenn Marken Politik machen

von Max

Bleibt doch einfach bei eurem Eis, steht unter einem „Ben & Jerry’s“-Beitrag zu den US-Wahlen. Nein, antwortet der Eishersteller scharf und erklärt auch warum. „Ja, wir sind im Eis-Business, aber wir waren schon immer mehr als das“, heißt es im Beitrag. „Wir nutzen unsere Macht, Privilegien, Plattform und die Beziehung zu unseren Fans, um uns für einen fortschrittlichen sozialen Wandel einzusetzen.“ Seit der Präsidentschaft von Donald Trump ruft das Unternehmen aktiv zum Protest auf.

Egal, ob LGBTQIA+-Rechte, Klimaschutz, Feminismus oder Anti-Rassismus – immer mehr Firmen positionieren sich öffentlich zu gesellschaftspolitischen Themen. Auch hierzulande: Aktuell fragt in einem Werbespot der Wiener Städtischen eine jugendliche Person: „Papa, was, wenn ich eigentlich ein Mädchen bin?“ Die Antwort: „Dann hätt’ ich die beste Tochter der Welt.“

Aber sollten sich Unternehmen überhaupt gesellschaftspolitisch äußern? Und wie wirkt sich das auf ihr Geschäft aus? Das fragt der KURIER Oliver Errichiello. Als Experte hat er in den vergangenen zwanzig Jahren über 200 Unternehmen in Sachen „Marke“ beraten. Seiner Einschätzung nach können Firmen, die Politisches zum Zentrum ihres Handelns machen, gefährlich werden. Allein schon, weil diese Form des Marketings nicht immer ehrlich ist.

Mittel zum Zweck

Wann genau Firmen begonnen haben, sich zu politischen Themen zu bekennen, ist umstritten, sagt der Markenexperte. Er selbst meint, dass 2008 ein guter Ansatzpunkt ist. Es war die Zeit der großen Bankenkrisen, die zu einem erheblichen Imageproblem geführt haben. Es musste eine neue Marketing-Strategie her, die auch zu den vermeintlich veränderten Ansprüchen der Konsumenten passte. 

„Damals meinte man festzustellen, dass Menschen nicht mehr nur Produkte kaufen. Dass sie sich weniger für Leistung und Details interessieren, sondern für das Bild, das beim Kauf dieser Marke vermittelt wird“, erzählt Errichiello. „Wenn ich ein Produkt kaufe, ist es sozusagen ein Bekenntnis. Ich erzähle etwas von mir selbst.“

Für Firmen wurde klar: Will man als Marke erfolgreich und unverwechselbar sein, muss man den Zeitgeist aufgreifen, Themen wie soziale Verantwortung und Umwelt ins Marketing verpacken. Das „Purpose-Marketing“ war geboren. Eine Strategie, die Errichiello kritisch sieht. „Man hat den Zeitgeist ökonomisiert, ihn zu Geld gemacht. Viele Marken suggerieren eine Veränderung, die es eigentlich gar nicht gibt. Sie wird zum Mittel zum Zweck.“

Als Beispiel nennt er die Regenbogenflagge, die im Juni während des Pride-Month zahlreiche Logos ziert. Jedoch nur in westlichen Ländern, wo es akzeptierter ist. Anderswo bleiben die Regenbogenfarben oft aus.

Wer macht die Werbung?

Was man bei großen Statements der Marken nie vergessen darf, sind die Personen, die dahinter stehen, erklärt Oliver Errichiello. Also jene Menschen, die für die Inhalte zuständig sind. Besucht man Marketing-Teams und Werbeagenturen, trifft man vermutlich überwiegend junge Leute, so Errichiello. „Das sind Menschen, deren Lebensrealität sich oft deutlich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheidet.“ Konservative Themen werden dort selten vertreten – und somit nur 50 Prozent der Kunden adressiert.

„Auf der anderen Seite stehen aber Menschen, die einfach ein Produkt kaufen wollen, ohne damit ein großes politisches Statement zu setzen“, so Errichiello. Er geht davon aus, dass es auch Unternehmen geben wird, die genau diese Zielgruppe ansprechen und konservative Werte stärker in den Vordergrund rücken. Tesla macht das, driftet gerade mit seinem CEO nach rechts ab. 

Eine riskante Entwicklung, meint Errichiello: „Wenn sich Unternehmen zunehmend politisch äußern, öffnen wir irgendwann die Büchse der Pandora. Dann wird Kommunikationsmacht gezielt genutzt, um bestimmte politische Agenden voranzubringen.“

Was sollten Firmen also tun? 

Etwas, wofür man für gewöhnlich keine Preise und Auszeichnungen bekommt: vor der eigenen Tür kehren, lautet Oliver Errichiellos einfache Antwort. „Früher haben sich Unternehmen für ihre Mitarbeiter, Lieferanten und andere Beteiligte verantwortlich gezeigt. Es ging um konkretes soziales Handeln.“ 

Heute habe er fast den Eindruck, dass Firmen auf der konkreten Ebene tun können, was sie wollen. „Hauptsache, sie machen sich ein reines Gewissen mit einem wunderbaren öffentlichen Auftritt. Marken können sich sehr viel erlauben, bis Menschen bereit sind, ihr Gewohnheitsmuster zu verändern“, sagt er. Nudel-Hersteller Barilla konnte sich beispielsweise von den homophoben Äußerungen ihres Chefs erholen und erlitt kaum wirtschaftlichen Schaden.

Der Marken-Aktivismus

Doch nicht alle sehen politisches Engagement von Unternehmen so kritisch. Eva Marckhgott, Marketing- und Konsumentenexpertin von der WU Wien sagt etwa, dass es von Konsumenten teilweise sogar eingefordert wird. Wenn Unternehmen politisch Stellung beziehen, sollte es jedoch authentisch sein, sonst kaufen die Kunden das nicht ab – im Gegenteil. 

Im besten Fall setzen Firmen auf den sogenannten „authentischen Marken-Aktivismus“. Das bedeutet: Sie handeln so, wie sie kommunizieren. Wie weit sie dabei gehen wollen, bleibt ihnen überlassen.

„Manche Firmen akzeptieren auch, dass sie durch ihr Handeln einen Teil ihrer Kunden verlieren“, so Marckhgott. Ein Beispiel sei „Ben & Jerry’s“, das sich für Geflüchtete, Wahlrecht und Abtreibung einsetzt. Es hat wenig mit Eis zu tun und führt schon deswegen zu Diskussionen.

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