Österreichs Parteien haben eine bunte und spannende Vergangenheit, über die heute kaum noch geredet wird. Woher kommen SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos und KPÖ? Die folgende Serie wird dem auf den Grund gehen. Teil 3: die FPÖ.
Es hätte ganz anders kommen können. Denn in den 70er-Jahren machte sich die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) auf den Weg, eine lupenreine liberale Bewegung zu werden. Der von der Parteispitze etablierte „Atterseekreis“, eine Denkfabrik, arbeitete entsprechende Ideen aus. Hier wollte man den völkischen Nazi-Mief des dritten Lagers, zu dem die FPÖ sich zählt, hinter sich lassen. Eine moderne, wirtschaftsfreundliche Partei sollte es sein, die sich von ihrem braunen Erbe restlos emanzipiert.
Es hätte anders kommen können, ist es damals aber nicht. Die Wähler:innen konnten mit dem liberalen Konzept der FPÖ unter dem damaligen Parteichef Norbert Steger nicht viel anfangen, die Zustimmung sank kontinuierlich, bis man schließlich 1983 die Fünf-Prozent-Marke knapp verfehlte. In der heutigen Selbstwahrnehmung der FPÖ hatte die politische Führung damals den Kontakt zum Volk verloren. Der liberale Weg blieb ein missglücktes Experiment, die FPÖ wurde stattdessen zu einer rechtspopulistischen Partei neuen Zuschnitts.
Das entscheidende Jahr 1986
Alles änderte sich, als ein gewisser Jörg Haider im September 1986 in Innsbruck gegen Norbert Steger putschte und die Führung übernahm. Das Jahr markiert eine klare Zäsur in der Parteigeschichte – weg von einer politischen Randexistenz, hin zur Massenpartei mit großen Wahlerfolgen. Die Nationalen hatten wieder Oberwasser, Haider baute die FPÖ von einer Partei für wohlhabende Ärzt:innen, Anwält:innen und Steuerberater:innen in eine Protestbewegung um, die gegen das vermeintliche Machtkartell der „Altparteien“ ÖVP und SPÖ zu Felde zog und Stimmung gegen Ausländer:innen machte.
Eine klare Abgrenzung zur NS-Vergangenheit gab es nicht. Im Gegenteil. Haider äußerte sich im besten Fall mehrdeutig zu Österreichs braunem Erbe, Verurteilungen von Nazi-Verbrechen waren bei ihm höchst selten und kamen nur, wenn es gar nicht anders ging.
Mit seinem Sager von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik“, die es im Dritten Reich gegeben habe, läutete Haider 1991 sein vorläufiges Ende als Kärntner Landeshauptmann, nicht aber sein politisches Aus ein. Angesichts des unmenschlichen Systems der NS-Zwangsarbeit in den KZ und außerhalb waren Konsequenzen für den FP-Chef unausweichlich. Wenige Jahre später feierte er ein Comeback als Landeshauptmann, in der Rolle blieb er bis zu seinem Tod 2008.
NS-Verbindung „Tatsache“
In der Haider-Ära kam es häufiger zu rechtsradikalen Äußerungen. Zu nennen ist jener FPÖ-Ortschef, der 1990 meinte, dass schon wieder Öfen gebaut würden − aber nicht für den jüdischen Holocaust-Überlebenden und Aufdecker von Nazi-Verbrechen, Simon Wiesenthal. Der habe in „Jörgl seiner Pfeife“ Platz. Ein Skandal waren die jährlichen SS-Gedenktreffen am Ulrichsberg, an denen Haider regelmäßig teilnahm und Reden hielt. Ziel war stets, die begangenen Verbrechen zu relativieren und die Eltern- und Großelterngeneration zu entschuldigen. Veteranen der Waffen-SS sprach Haider als „anständige Menschen mit Charakter“ an.
„Die FPÖ ist keine Nachfolgeorganisation der NSDAP, denn wäre sie es, hätte sie die absolute Mehrheit“, sagte Haider bei einer Pressekonferenz in Klagenfurt im Jahr 1985. Der ehemalige FP-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager formulierte das drei Jahre später schon anders: „Die Verbindung zwischen drittem Lager und dem Nationalsozialismus ist Tatsache“, so Frischenschlager laut dem damaligen profil-Journalisten Hans-Henning Scharsach, der das Buch „Haiders Kampf“ verfasst hat. „Weder der frühere VdU noch die heutige FPÖ sind Parteien, die vom Himmel gefallen sind.“
Deutschnationaler Stammvater Schönerer
In der Tat waren VdU (Verein der Unabhängigen) und FPÖ ein Sammelbecken für nach 1945 politisch heimatlose Nationalsozialist:innen. Die Wurzeln der heutigen FPÖ reichen aber weit über die NS-Zeit hinaus ins 19. Jahrhundert zurück. Repräsentant:innen des dritten Lagers waren in der Ersten Republik der Landbund und die Großdeutsche Volkspartei, beide gingen in den 30er-Jahren in der NSDAP, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, auf.
Blickt man noch weiter zurück, stößt man auf einen gewissen Georg Ritter von Schönerer, der ein strammer, das Germanentum verehrende Nationaler und ein Vorbild Adolf Hitlers war. Er war ab 1879 als Anführer der Deutschnationalen, später der Alldeutschen im Reichsrat − so hieß das Parlament während der Monarchie − tätig. Schönerer war Gegner des politischen Katholizismus, radikaler Antisemit und wollte, dass die deutschsprachigen Teile der Monarchie an das damalige Deutsche Reich angeschlossen werden. Eine Denktradition, die sich lang hielt. Auch Haider hat Österreich bekanntlich als „ideologische Missgeburt“ bezeichnet.
Stets zerstritten
Der britische Politologe Kurt Richard Luther, der sich intensiv mit der FPÖ beschäftigt, weist darauf hin, dass die Vorgängerparteien der FPÖ keine zentral und straff organisierten Verbände waren, sondern aus individualistischen und wohlhabenden Honoratioren bestanden. Die Freiheitlichen selbst sehen ihre Ursprünge heute in der bürgerlichen Revolution und Freiheitsbewegung von 1848 und den deutschnationalen Burschenschaften, die ab 1815 in Erscheinung traten. Vertreten waren dort ausschließlich Männer, oft Akademiker, daneben antikatholische Kleinbürger und Kleistädter. Und: Die Parteien des dritten Lagers seien „stets von einer starken Neigung zu internen Auseinandersetzungen geprägt“, schreibt Luther.
Weniger zurückhaltend formuliert könnte man sagen, dass es sich um einen zerstrittenen Haufen mit Hang zur Deutschtümelei handelte. Auch hier sind Kontinuitäten feststellbar, hält man sich die Implosion der Partei beim mittlerweile legendären FP-Sonderparteitag 2002 in Knittelfeld vor Augen. Oder das Chaos, als sich Haider mit seinen Getreuen wenig später mit dem BZÖ selbständig machte − die FPÖ wurde jahrelang von Machtkämpfen geschüttelt. Die Rivalitäten innerhalb der Partei sind auch heute vorhanden und können jederzeit zum Tragen kommen.
Die FPÖ, einst ein Mauerblümchen
Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte die 1956 gegründete FPÖ politisch vorerst kaum eine Rolle. Im ersten Jahrzehnt ihrer Existenz war sie organisatorisch schwach und vom politischen Geschehen so gut wie ausgeschlossen. Ab Mitte der 1960er-Jahre versuchte der damalige Parteiobmann Friedrich Peter − im Zweiten Weltkrieg war er SS-Offizier gewesen −, die „Ghettopartei“ aus der Isolation zu führen. Der Politologe Luther spricht von einer Phase der „Normalisierung“, der FP-Parteiideologe Andreas Mölzer sieht das genauso. Die FPÖ zeigte Gesprächsbereitschaft gegenüber anderen Parteien. Das gipfelte darin, dass sie 1970/71 eine Alleinregierung der SPÖ unter Bruno Kreisky unterstützte. 1983 koalierte die FPÖ unter Steger als Juniorpartner mit der SPÖ.
Die Zeit der „Buberlpartie“
Haider baute die Partei ab 1986 komplett um, auch personell blieb kein Stein auf dem anderen. Er drängte fast alle Personen, die ihm bei seinem Aufstieg an die Parteispitze geholfen hatten, aus ihren Positionen. Es traf Mario Ferrari-Brunnenfeld, der Haider protegiert hatte, Kriemhild Trattnig, Haiders politische Ziehmutter, wurde anlässlich des Parteitags 1992 in Gastein zum Ziel einer Mobbingkampagne. Gegner:innen, Kritiker:innen und liberale Vordenker:innen wurden ohnehin rasch eliminiert. An ihre Stelle trat eine „Buberlpartie“ – junge, von Haider meist persönlich angeheuerte männliche Politiker, die wenig eigenes Profil hatten und ihrem Mentor treu ergeben waren.
Aufstieg zur Nummer eins bei der Wahl 2024?
Regierungsbeteiligungen als Juniorpartner der SPÖ oder der ÖVP waren, wie Parteiideologe Andreas Mölzer feststellt, aus FPÖ-Sicht stets eine negative Erfahrung. Zuletzt musste Parteichef Heinz Christian Strache nach der Veröffentlichung eines Skandalvideos seinen Posten als Vizekanzler und Parteichef räumen, bei vorgezogenen Neuwahlen 2019 erlitt die FPÖ eine Niederlage. Nach der Coronakrise und der Übernahme des Parteivorsitzes durch Herbert Kickl 2021 hat die FPÖ laut Umfragen die Chance, bei der Nationalratswahl 2024 stimmenstärkste Partei zu werden.
Die Liebe zu einem vereinten deutschen Reich und offenen Antisemitismus hat man in der FPÖ heute weitgehend aufgegeben. Geblieben ist eine tendenziell autoritäre Protesthaltung und ein Österreich-Patriotismus, der „Fremde“ – derzeit in erster Linie Asylwerber:innen – pauschal ausgrenzt.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
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Attersee-Kreis: Er wurde 1971 gegründet und verstand sich als liberales Gegengewicht gegen die extrem deutschnationalen Tendenzen in der FPÖ. Norbert Steger war der erste Vorsitzende. In den letzten Jahren sollte das Forum wiederbelebt werden.
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Johann Schober war 1921 der erste parteilose Bundeskanzler Österreichs. Er wurde allerdings dem deutschnationalen Milieu zugeordnet. Vor seiner Kanzler-Karriere war er Polizeipräsident.
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Georg Ritter von Schönerer: Der Politiker wurde 1842 in Wien geboren und war überzeugter Anhänger eines Anschlusses der deutschsprachigen Gebiete der k.u.k-Monarchie an das Deutsche Reich. Er war Vertreter eines rassisch begründeten Antisemitismus und entwickelte im Lauf der Zeit einen ausgeprägten Germanenkult.
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Friedrich Peter war von 1958 bis 1978 Parteiobmann der FPÖ. Im Zweiten Weltkrieg brachte er es in der SS bis zum Obersturmführer. Er versuchte als Parteichef, die FPÖ als potenziellen Koalitionspartner aufzustellen und liberaler zu machen. Der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky spielte eine kritikwürdige Rolle, als er Peter gegen Simon Wiesenthal verteidigte. Wiesenthal hatte herausgefunden, dass Peters SS-Einheit an Kriegsverbrechen beteiligt war.
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Der FPÖ-Parteitag in Knittelfeld: Im Jahr 2000 ging die FPÖ in eine Koalition mit der ÖVP, Jörg Haider war offiziell nur noch „einfaches Parteimitglied“. Das war natürlich nicht wirklich so und bei einem Sonderparteitag 2002 in Knittelfeld rief er zum Putsch gegen das damalige FP-Regierungsteam auf. Die Partei implodierte und wurde bei den vorgezogenen Nationalratswahlen massiv abgestraft. In der Folge kam es 2005 zur Abspaltung und Gründung des BZÖ mit u. a. Jörg Haider, Hubert Gorbach und Uwe Scheuch, wobei das BZÖ in der Regierung mit der ÖVP blieb.
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Der Tod des Jörg Haider: In der Nacht zum 11. Oktober 2008 kam Haider bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Nach dem Besuch mehrerer Veranstaltungen und Gaststätten hatte sich Haider stark alkoholisiert auf den Weg zu seinem Haus im Kärntner Bärental gemacht. Seit Haiders Tod pilgern Menschen zum Unfallort nach Lambichl und legen Blumen, Kränze, Kerzen, Fahnen und Trauerbekundungen nieder.