Startseite Politik Wolfgang Schüssel hält nichts von „Brandmauern“ und „Ausschließeritis“

Wolfgang Schüssel hält nichts von „Brandmauern“ und „Ausschließeritis“

von Max

Weil sich Amerika gekümmert hat.

Ja, die Armeen wurden bei uns halbiert, Rüstung und Luftabwehr eingeschränkt und die Gelder in den Ausbau des Sozialstaats investiert.

Sie haben Eurofighter gekauft, was Ihre Regierung unter Korruptionsverdacht brachte.

Das wurde damals skandalisiert, und leider haben einige Staatsanwälte und Journalisten mitgespielt. Bis heute gibt es keinen einzigen Beweis, dass etwas falsch gelaufen ist. Ich müsste es wissen, weil ich war dabei und sehr genau, geradezu penibel. Es war damals das beste Gerät, und es gab gute Gegengeschäfte, die uns den Einstieg in die Flugzeugindustrie ermöglicht haben. Ich dachte: Wenn wir schon so etwas kaufen, dann sollte es ein europäischer Beitrag zur Sicherheit sein. Gerade heute bemühen wir uns, wieder unabhängiger von den US-Waffensystemen zu werden.

Sie gerieten als Chef der schwarz-blauen Koalition international unter Riesendruck, weil es damals noch unüblich war, mit Rechtspopulisten zu regieren.

Wir haben mit Gelassenheit und einem guten inhaltlichen Programm reagiert. Dieses habe ich zwar mit Jörg Haider abgeschlossen, aber mit Susanne Riess umgesetzt. Bedingung war eine klare proeuropäische Haltung. Übrigens hat Herbert Kickl schon damals im Hintergrund immer gezündelt, um diese Koalition zu Fall zu bringen.

Ist Kickl untragbar?

Es ist an inhaltlichen Gründen gescheitert. Ich halte nichts von „Brandmauern“ und „Ausschließeritis“.

Die AfD wurde als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Ist es richtig, Rechtspopulisten mithilfe der Justiz zu bekämpfen?

Ich finde es rechtsstaatlich problematisch, dass die Begründung geheim geblieben ist.

Sie haben Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser sehr unterstützt. Haben Sie sich in ihm getäuscht?

Er war ein sehr guter Finanzminister. Wir hatten damals ein befürchtetes Defizit von fünf Prozent, das wir innerhalb von zwei Jahren auf null reduziert haben.

Auch mit Privatisierungen.

Aber nicht nur, es waren auch massive Einsparungen dabei. Ich habe die Verurteilung Grassers zur Privatisierung der Bundeswohnungen nie verstanden, weil es nie einen Beweis für Geheimnisverrat gab. Die Angebote der Anbieter werden in verschlossenen Kuverts von einem Notar vor laufender Kamera geöffnet. Natürlich sind Urteile zu respektieren. Aber man sollte auch darüber nachdenken, wie man den Rechtsstaat verbessern könnte. Die Verfahrensdauer von 20 Jahren ist menschenverachtend. Auch die permanente Berichterstattung über laufende Verfahren finde ich nicht in Ordnung. Es sollte außerdem schon der Anschein von Befangenheit bei den Entscheidungsträgern unbedingt vermieden werden. Daher darf die Entscheidung über eine allfällige Befangenheit nicht vom Betroffenen selbst erfolgen.

Haben Sie Mitleid mit Grasser?

Sicher!

De ÖVP hat bei der Wien-Wahl katastrophal abgeschnitten. Kann sie in den Städten nicht punkten?

Das ist kein Naturgesetz. Man braucht gute, urbane Persönlichkeiten. Die hatten wir, wie Erhard Busek und Jörg Mauthe in Wien, Siegfried Nagl in Graz, Herwig van Staa in Innsbruck. Es ist wieder möglich.

Was sagen Sie zum kräftigen Lebenszeichen der KPÖ?

Die Marke „Kommunismus“ ist toxisch, davon sollte sich die Partei trennen. Das geht heute nicht mehr – nach all den Verbrechen mit Millionen Toten, die der Kommunismus international begangen hat. Das muss man genauso thematisieren wie den Kampf gegen den Rechtsradikalismus.

Sind Sie zuversichtlich, dass Österreich reformfähig ist?

Ja. Ich bin kein Optimist, sondern Possibilist. Ich möchte Dinge möglich machen. Hätten wir die Pensionsreform vor mehr als 20 Jahren nicht gemacht, wäre das Pensionsloch heute um elf Milliarden Euro größer. Es gibt viele faszinierende Ideen, wie man Österreich besser machen könnte. In den nächsten 13 Jahren werden zum Beispiel 45 Prozent der Beamten in Pension gehen, die man kaum nachbesetzen kann. Mit einer klugen Digitalstrategie könnte man so viel einsparen! Die Regierung könnte auch einmal im Jahr zu einer Konferenz einladen, wo von einer Jury ausgewählte Personen jeweils eine Idee vorbringen dürfen, die Österreich weiterbringt. Zuversicht ist notwendiger denn je.

Sie galten als Mentor von Sebastian Kurz. Würden Sie ihm raten, wieder in die Politik zurückzukehren?

Diese Entscheidung muss er selbst treffen. Wichtig ist, dass die juristischen Verfahren abgeschlossen sind. Aber er ist ein sehr erfolgreicher Unternehmer geworden. Dieser Blick nach außen ist für Politiker wichtig.

Sie haben wiederholt Wladimir Putin getroffen, fuhren am Rande der WM 2001 in St. Anton sogar Ski mit ihm. Was ist er für ein Mensch? Kann man mit ihm normal reden?

Damals konnte man es. Ich habe ihn seit vielen Jahren nicht mehr getroffen und habe das Gefühl, dass er nicht mehr der gleiche Mensch ist. In St. Anton hat er 2001 gesagt, er wolle Russland nach Europa führen.

War der Westen zu arrogant?

Das mag stimmen, vor allem, was die US-Seite betrifft. Seitens Europas würde ich es nicht bestätigen. Eine Kooperation mit Russland würde viel hergeben. Putin befindet sich aber offenbar in einer Blase, die eine nationalistische, revanchistische und imperialistische Note hat, was Russland massiv schaden wird. Ich hoffe, dass irgendwann einmal Vernünftigere – und die gibt es in Russland – einen anderen Weg einschlagen werden.

Ist der Politiker-Job noch attraktiv?

Absolut! Das ist nach wie vor eine sehr faszinierende Aufgabe. Du darfst nur nicht empfindlich und kein „Ego“ sein. Politik ist dem Fußball sehr ähnlich – und ich spiele ja noch immer gerne Fußball. Du musst dein Team „lesen“ können, eine Entwicklung verstehen. Du musst die Besten um dich versammeln und motivieren. Das meiste spielt sich im Kopf ab. Junge sollten sich nicht abschrecken lassen und in die Politik gehen, um etwas zu bewegen.

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