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Zahnspangen-Ivan und sein blöder großer Bruder

von Max

Über den zehn Jahre jüngeren Ivan haben dieselben Leute lange gemunkelt, er sei womöglich autistisch. „Falls man das heutzutage noch sagen darf.“ Jedenfalls gut in Mathe und ein Schachgenie.

Im Zentrum des neuen Romans der irischen Autorin Sally Rooney stehen zwei ungleiche Brüder. Keine neue Konstellation, sie funktioniert hier aber ganz gut, die beiden sind vielschichtig gezeichnet. „Intermezzo“ setzt wenige Tage nach dem Begräbnis des viel zu früh an Krebs verstorbenen Vaters der Brüder Peter und Ivan Koubek ein. Der smarte Peter hat die Grabrede allein gehalten. Ivan stand nur da, in seiner unattraktiven Aufmachung, der Anzug wieder einmal völlig daneben.

Doch ausgerechnet Peter, der scheinbar stets mühelos durchs Leben schlenderte, wird der Tod des Vaters aus der Bahn werfen. Immer öfter wird er schlaflose Nächte hindurch Fortnite mit den Mitbewohnern seiner kiffenden jungen Freundin Naomi spielen. Naomi, die ihn ständig anschnorrt und die „nichts besitzt als ihren perfekten Körper.“ Peter pendelt zwischen ihr und seiner früheren Gefährtin, der chronisch kranken Sylvia, die er immer noch liebt.

Mit seinem merkwürdigen kleinen Bruder kann Peter nicht kommunizieren. Sie waren einmal Freunde, doch heute endet jedes Gespräch in peinlichem Schweigen. Und just dieser Zahnspangen-Ivan mit dem hohen IQ und den „Defiziten bei den sozialen Zwischentönen“ wird, so scheint es, bald die Rolle des Gewinners in der Familie übernehmen. An seiner Seite: Die attraktive Margaret, 14 Jahre älter als Ivan. Während Ivan immer erfolgreicher wird, scheint Peter zusehends zwischen Schlaf-und Aufputschmitteln zu versumpern und bald „steigt der Gedanke an die Oberfläche seines Verstandes: ich wünschte, ich wäre tot“. Was ihn am Leben hält? Der kleine Bruder. Der ihn, wie Peter glaubt, nicht leiden kann.

Sex und darüber reden

Sally Rooney wurde mit den Romanen „Gespräche mit Freunden“ und „Normale Menschen“ zur Bestsellerautorin, beide Bücher wurden verfilmt. Ihr letztes Buch „Schöne Welt, wo bist du“ wollte die heute 33-Jährige 2021 nicht in Israel veröffentlicht sehen. Zu „Intermezzo“ ist noch nichts bekannt, im Frühjahr 2024 äußerte sie sich aber erneut mit einschlägiger Israel-Kritik.

Was das rein Literarische betrifft, scheint Rooney zuletzt eine Spur erwachsener geworden zu sein. Glaubwürdig beschreibt sie hier das Ringen um Nähe zwischen den vermeintlich ungleichen Brüdern. Man merkt diesem Roman weniger als seinen Vorgängern an, dass seine Autorin ihren Erfolg maßgeblich der Generation der Millennials zu verdanken hat. Dass sie deren Sprache spricht, ist aber auch hier ganz deutlich. Etwa durch programmatische Kapitalismuskritik und betuliche sexual Correctness. So machen sich ihre Protagonisten ausführlich darüber Gedanken, wie schlecht sich eine Frau fühlen muss, wenn sie Komplimente über ihr Äußeres bekommt, und beim Küssen und beim Sex wird viel darüber geredet, ob der andere das will, mag, etc. Dass der Altersunterschied zwischen der 36-jährigen Margaret und dem 22-jährigen Ivan dermaßen problematisiert wird, wirkt wiederum ziemlich bieder und altbacken.

Zwischendurch ist dieses Buch purer Kitsch: „Er will sie, sie will ihn, um ihm zu geben, was er will.“ Aber vielleicht ist das Geschmackssache. „Intermezzo“ wird seine Leser finden.

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