Zaho wer? Zaho de Sagazan. Falls Ihnen dieser Name nichts sagt, sind Sie bald in der Minderheit. Die junge Frau mit der tiefen Stimme ist gerade dabei, ein Weltstar zu werden.
Momentan tourt die französische Sängerin, die Chanson, Elektronik und Weltschmerz unter einen Hut bringt, durch Europa und macht am 20. März Station in Wien. Das ursprünglich im WUK angesetzte Konzert war so schnell ausverkauft, dass es in den zehn Mal größeren Gasometer verlegt wurde. Im September 2024 hat sie den legendären Pariser Konzertsaal Olympia binnen weniger Minuten zweimal ausverkauft, im Herbst wird es gleich zehn Termine dort geben. Dabei ist die 25-jährige Bretonin auch in Frankreich noch nicht ewig ein Star. Auf ihrem Instagram-Account finden sich noch ungelenke Videos aus dem Kinderzimmer, in denen sie Songs des britischen Songwriters Tom Odell covert. Mittlerweile ist er ihr Fan, die holprigen Kinderzimmer-Videos sind immer noch da. Zaho de Sagazan, die mit vollem Namen Zaho Mélusine Le Moniès de Sagazan heißt, steht dazu. Das hat wohl mit Authentizität zu tun. Diese Nahbarkeit, die sie auch im Interview zeigt, ist aber nicht der einzige Grund für ihren Erfolg.
Mit ihrem Auftritt bei den Olympischen Spielen im August 2024 sang Zaho de Sagazan sich mit Édith Piafs Hymne an die Hauptstadt „Sous le ciel de Paris“ in die Herzen der Chanson-Fans weltweit.
Der liegt vielmehr in der erstaunlichen Bandbreite dieser Künstlerin, die es schafft, mehrere Generationen auf einmal zu begeistern. Mit ihrem Auftritt bei den Olympischen Spielen im August 2024 sang sie sich mit Édith Piafs Hymne an die Hauptstadt „Sous le ciel de Paris“ in die Herzen der Chanson-Fans weltweit. Piaf zu interpretieren, das muss man sich trauen. Zaho traute sich und gewann. Schon zuvor hatte sie sich an ein, wie man in Frankreich sagt, „monstre sacré“, eine Legende, gewagt: David Bowie. Ihre Fassung von „Modern Love“ eröffnete die Filmfestspiele von Cannes und wer ihre Version mit der beeindruckenden Altstimme und dem leicht verschleppten Rhythmus einmal gehört hat, vergisst sie nicht wieder. Cannes-Präsidentin Greta Gerwig war zu Tränen gerührt.
„Bowie war eine Herausforderung. Ich wollte nicht bloß schön singen, ich wollte etwas erzählen. Ich wollte diese ungeheure Energie übersetzen“, erzählt Zaho de Sagazan im Interview. Der KURIER hat sie am Telefon während der Europa-Tournee erreicht. „Die Tour läuft super“, erzählt sie. Sie liebe das Leben unterwegs, „im Tourbus mit den besten Freuden“. Außerdem sei jedes Konzert ein regelrechtes Happening. „Es ist verrückt, wie großartig wir überall aufgenommen werden, und ich frage mich, woher die Leute uns überhaupt kennen.“ Sprachbarrieren gibt es keine, die Euphorie ist gleich groß, egal, wo sie auftritt. Daheim singen alle mit, anderswo wird getanzt. Während in Frankreich ein eher erwachsenes Publikum Zaho de Sagazans Chansons mit Elektro-Beats hört, verstehen die vorwiegend jüngeren Besucher etwa in Irland zwar kein Wort, aber sie tanzen. „Die Leute sind dort nicht so zurückhaltend wie in Frankreich.“
Zur elektronischen Musik ist sie über ihre Deutschland-Affinität gekommen. „Mit sechzehn hab ich mit meinen Freundinnen einen Road-Trip nach Berlin gemacht. Ich hab mich sofort in die Stadt verliebt. In die Leute, die Energie, die Clubs. Dort habe ich auch begonnen, mich für elektronische Musik zu interessieren. Ich hatte ja keine Ahnung! Dann hab ich Kraftwerk gehört und war sofort hin und weg. Ich hab bald sehr viel entdeckt. DAF, Grauzone, Klaus Nomi.“
Und dann war da Nena. „Ast du etwas Sait für misch“: So hört es sich an, wenn Zaho de Sagazan auf ihrem Album „La Symphonie Des Eclairs“ die ersten Takte von Nenas „99 Luftballons“ singt. Natürlich als universelle Friedenshymne. „Dieses Lied ist extrem gut geschrieben. Ein Lied zum Tanzen mit einer sehr düsteren Geschichte dahinter, dem Krieg. Nena hat Worte dafür gefunden.“
„La Symphonie Des Eclairs“ – die „Symphonie der Blitze“ heißt Zaho de Sagazans Debütalbum. Abgesehen vom Nena-Cover eine bestechende Mischung aus elektronischer Musik und französischem Chanson. Entstanden ist das Album nebenbei, als sie noch in einem Altersheim jobbte. In den selbst geschriebenen und mit Freunden aufgenommenen Songs geht es um Liebe, um Ängste, um Sehnsucht nach Verstandenwerden. Darunter Lieder, die wie persönliche Offenbarungen klingen: „Dis-moi que tu m’aimes“– „Sag mir, dass du mich liebst“.
Viel Heulerei
Das mit der Offenbarung hat sie von ihren französischen Chanson-Vorbildern gelernt. „Die französische Chanson-Kultur ist ungeheuer reich, vor allem sprachlich. Meine Art zu schreiben hat zuerst mit Worten begonnen. Die Synthesizer sind später gekommen. Durch das Spiel mit der Sprache habe ich einen Weg gefunden, mich auszudrücken. Davor hab ich ständig geheult. Plötzlich aber wusste ich, wie ich mich verständlich machen kann. Das war fast wie eine Therapie.“
Die Therapeuten Nummer eins waren dabei die Chanson-Ikonen Barbara und Jacques Brel. „Von Barbara habe ich gelernt, dass man mit wenigen Worten viel sagen kann. Ich habe dank Barbara viel über Emotionen verstanden. Andere schreiben ganze Essays darüber. Sie erklärt in drei Minuten, was Einsamkeit ist. Nämlich etwas grundlegend Menschliches.“ Und Brel? „Als ich seine Liveauftritte zum ersten Mal auf Video gesehen habe, war ich völlig von der Rolle. Es war der größte Aha-Moment meines bisherigen musikalischen Lebens. Er hatte keine Angst davor, hässlich zu sein, er hat Grimassen geschnitten und manchmal auch stimmlich gezeigt, dass es nicht immer um Schönheit geht. Die Künstler, die mich am meisten inspirieren, sind diejenigen, die Freiheit beflügeln. Und Brel war ein Gigant in dieser Kunst.“