Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sendet eine klare Botschaft: Misogynie ist nicht nur wieder salonfähig, sondern präsidial. Männliche Übergriffigkeit gegenüber Frauen hat keine negativen Konsequenzen und wird mit noch mehr Macht belohnt.
Das Schlimmste an Vergewaltigungsvorwürfen ist ja bekanntlich, dass sie die Karrieren von Männern zerstören. Vor allem jener Männer, die bereits im Rampenlicht stehen, schon in Machtpositionen dahinmarinieren oder mit der Verfügungsgewalt ausgestattet sind, die Berühmtheit und Status mit sich bringen.
In den letzten Wochen zeigte sich genau das erneut auf besonders bedrückende Weise. Der Feminismus und mit ihm das unhaltbare An-den-Sesseln-Sägen geldgieriger oder famegeiler (je nachdem) Weiber sorgten dafür, dass mit nie dagewesener Effizienz namhafte und verdienstvolle Männer aus Ämtern und Würden, von Payrolls und aus Machtpositionen bugsiert wurden. Das, wovor besorgte Männer in der gesamten westlichen Welt seit Jahren warnen, ist eingetreten: Man kann wirklich keine Frau mehr auch nur ansehen, schwupps, wird einem daraus ein Strick gedreht und man ist das Rockstar-Leben und die Stadiontourneen los, das Engagement im Fernsehen, den Sitz im Parlament oder im Aufsichtsrat oder die Präsidentschaftskandidatur sowieso. Für Männer sind im Jahr 2024 Karrieren schneller beendet als man „Grab them by the pussy“ sagen kann. Was man doch bitte noch sagen können muss.
You can do anything.
Da ist zum Beispiel das tragische Schicksal eines Mannes namens Donald John Trump, der am 6. November zum 47. Präsident der USA gewählt wurde. Mit einer beeindruckenden Mehrheit wählten die Amerikaner:innen einen Mann, „von dem sie vermutlich, wäre er Gebrauchtwarenhändler, kein Auto kaufen würden, einen Mann, der offen rassistisch ist, ein verurteilter Straftäter, der als Geschäftsmann so ziemlich jedes Geschäft versenkt hat, das er angefasst hat.“ Trump ist ein 34-fach verurteilter Straftäter. Trump selbst hat bereits vor Jahren mit seiner eigenen sexuellen Übergriffigkeit geprahlt: „And when you’re a star, they let you do it. You can do anything. … Grab ‚em by the pussy. You can do anything.“ Du erinnerst dich. Trump ist ein Mann, gegen den zahlreiche Frauen Anschuldigungen der sexuellen Gewalt erhoben haben und gegen den eine von ihnen, E. Jean Carroll, vor Gericht gewann: Noch Anfang dieses Jahres nämlich stellte es fest, dass Trump sie vergewaltigt und verleumdet hatte. Trump wurde zu einer 83-Millionen-Dollar-Entschädigungszahlung an sie verurteilt. Ein paar Monate später wurde er zum Präsidenten gewählt. Aus seiner Wahl gibt es vieles zu lernen, unter anderem liegt in ihr folgende Realisation: Es ist Männern erlaubt, alles mit Frauen zu tun, was sie tun wollen. Gewalt gegen sie ist kein Grund, nicht der mächtigste Mann der Welt zu werden, weil Frauen, ihre Leben und ihre Sicherheit egal sind. „You can do anything“, wie Trump selbst sagte. Marissa Hochstaetter, die erfolgreich für den bahnbrechenden „Adult Survivers Act“ in New York gekämpft hatte, der unter anderem dafür sorgte, dass nun gegen P. Diddy ermittelt wird, sagt in einem Interview mit The Guardian über die Wahl Trumps: „Es bestätigt, dass sexuelle Gewalt toleriert wird und nicht disqualifiziert.“ Und: „Ich glaube nicht, dass es darum geht, ob wir bewiesen haben, dass er diese Dinge getan hat – ich habe das Gefühl, dass es bewiesen wurde. Wir haben bewiesen, dass es den Menschen immer noch egal ist.“
Eine klare Botschaft
Die Welt konnte am 6. November 2024 dabei zusehen, wie ein Sexualstraftäter zum amerikanischen Präsidenten gewählt wurde. Teil der Zuseher:innenschaft in dieser Welt sind – zahlreiche – Opfer und Überlebende sexueller und sexualisierter Gewalt, die durch diese Wahl eine klare Botschaft erhalten haben. Teil der Zuseher:innenschaft in dieser Welt sind ebenso zahlreiche Täter und noch zahlreichere Verherrlicher und Apologeten sexueller und sexualisierter Gewalt, die eine ebenso klare Botschaft erhalten haben. Es ist die Botschaft der völligen Konsequenzlosigkeit männlicher Übergriffigkeit.
Berufsmisogynist Andrew Tate, gegen den unter anderem wegen Menschenhandel ermittelt wird, kommentierte die Wahl mit: „The patriarchy is back“. Der rechte Influencer Nicholas Fuentes tweetete „Your body, my choice. Forever“ und fasste die Wahl in einem Video mit folgenden Worten zusammen: „Hey bitch, we control your bodies. Guess what? Guys win again, men win again, and yes, we control your bodies.“
Das ungeheure Ausmaß an Misogynie, das sich seit dem 6. November Bahn bricht, lässt sich auch in Zahlen gießen, denn nicht nur die Gallionsfiguren des Maskulinismus fühlen sich durch die Wahl Trumps in ihrem Frauenhass bestätigt: Laut einer Studie des Institute for Strategic Dialogue lässt sich seit dem 6. November ein 4.600-prozentiger Anstieg an misogynen Beschimpfungen und Slogans online feststellen. Frauen und Mädchen berichten, in Schulen und Universitäten von ihren männlichen Mitschülern mit „your body my choice“ verspottet zu werden – und das nicht nur in den USA. Corinna Milborn erzählte beispielsweise auf ihrem Instagram-Kanal davon, dass sie in der Wiener U-Bahn, über 7.000 Kilometer von Washington entfernt, Zeugin davon wurde, wie ein Mädchen von einem Schulkollegen mit „your body, my choice“ belästigt wurde.
Die Wahl Trumps hat aller Voraussicht nach auch abseits konkreter politischer Entscheidungen und Entwicklungen für Frauen schwerwiegende Konsequenzen, und das weltweit: Weil sie Misogynie und Gewalt gegen Frauen von höchster Ebene herab legitimiert, weil sie die Wiedererstarkung patriarchaler Männlichkeit und maskulinistischer Ideale symbolisiert wie kaum etwas sonst in den letzten Jahrzehnten. Der Kampf um die Anerkennung der Menschenwürde und der Menschenrechte von Frauen, der Kampf um die Anerkennung unseres Wertes und unserer Gleichwertigkeit als Menschen, unserer Sicherheit und unserer Selbstbestimmung beruht nämlich nicht nur auf knallharten politischen Forderungen und ihrer Umsetzung, sondern auch auf langwierigen kulturellen und zivilisatorischen Fortschrittsprozessen, und diese wurden gerade mit Gewalt an die Wand gefahren.
Gruselkabinett
Amerika hat am 6. November 2024 nicht mit der Wahl der ersten Frau als Staatsoberhaupt Geschichte geschrieben, sondern mit der Wahl des ersten verurteilten Straftäters. Zumindest wenn es um Männer geht, nehmen wir die Sache mit der Intersektionalität ja sehr ernst. Bedeutet: JEDER Mann, jede Art von Mann (egal welcher) kommt an die Macht, bevor es IRGENDEINE (egal welche) Frau tut. Verurteilter Verbrecher steht jetzt offenbar mit auf der Liste. Aktuell ist dieser Mann damit beschäftigt, sein Gruselkabinett für die nächsten vier Jahre zusammenzustellen. In diesem Gruselkabinett findet sich eine Reihe weiterer in Folge von Vergewaltigungsvorwürfen zerstörter Existenzen.
Da ist beispielsweise Matt Gaetz, der Attorney General im Justizministerium werden sollte; gegen den wegen Verdachts auf sexuellen Missbrauch einer Minderjährigen und wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ermittelt wurde.
Da ist Robert F. Kennedy Jr., dem als zukünftigen Gesundheitsminister sexuelle Übergriffigkeit von einer ehemaligen Mitarbeiterin vorgeworfen wird. Ein Vorwurf, auf den er mit „I am not a church boy“ antwortete.
Oder Elon Musk, gegen den acht Mitarbeiterinnen von SpaceX im Juni 2024 wegen sexueller Belästigung klagten.
Das Schlimmste an Vergewaltigungsvorwürfen im Spezifischen und Vorwürfen sexueller Gewalt im Allgemeinen ist ja bekanntlich, dass sie die Karrieren von Männern zerstören.
Was sonst noch geschah
Was sonst noch passiert ist in den letzten zwei Wochen?
Mike Tyson, der 1992 wegen Vergewaltigung einer 18-Jährigen zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde (von denen er nur drei absitzen musste) und der Gewalt gegen seine Exfrau Robin Givens als „the best punch I’ve ever thrown in my entire life“ bezeichnete, hat einen Netflix-Deal erhalten für einen auf der Plattform gestreamten Kampf gegen Jake Paul, für den er etwa 20 Millionen US-Dollar überwiesen bekam .
Till Lindemann, gegen den in den letzten Jahren zahlreiche junge Frauen Vorwürfe wegen systematischer sexueller Gewalt erhoben und gegen den die diesbezüglichen staatsanwaltlichen Ermittlungen fallen gelassen wurden, plant aktuell seine neue Tournee durch die Stadien Europas, die eine „spektakuläre Bühnenshow“ beinhalten soll.
Und Jerome Boateng, der 2024 wegen Körperverletzung schuldig gesprochen wurde, darf nun, Vorbild, das er ist, die Fußballjugend coachen.
Ich bin äußerst selten einer Meinung mit Andrew Tate. Aber wenn er schreibt „Patriarchy is back“, hat er nicht Unrecht. Ich würde allerdings ergänzen: Es war nie weg, das Patriarchat. Allerdings ist es so mächtig und so laut und so gestärkt wie schon lang nicht mehr.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.