Welche Regierungskoalition nach der Nationalratswahl gebildet wird, ist derzeit völlig offen. Eine Neuauflage von Türkis-Grün gilt als unwahrscheinlich – auch weil die beiden Parteien wohl auf keine gemeinsame Mehrheit mehr kommen werden.
Möglich wäre eine neuerliche ÖVP-FPÖ-Koalition, wie es sie bisher dreimal gab, oder ein Comeback der jahrzehntelang dominierenden Großen Koalition. Ein Novum wäre, wenn die einst großen Traditionsparteien ÖVP und SPÖ einen Dritten bräuchten.
Die häufigste Regierungsvariante waren in der Zweiten Republik Zweier-Koalitionen. Mit Ausnahme der Zeit zwischen 1966 und 1983, als zunächst vier Jahre die ÖVP, dann 13 Jahre die SPÖ allein regierte, gab es immer Koalitionsregierungen. Diese bestanden seit 1947 – dem Ende der nach Ende des Zweiten Weltkriegs gebildeten All-Parteien-Regierung (ÖVP, SPÖ und KPÖ) – immer aus zwei Parteien.
Die dominierende Variante war jahrzehntelang die Große Koalition. Die bisher letzte – insgesamt dritte – großkoalitionäre Phase ging nach der Wahl 2017 zu Ende, genau am 18. Dezember 2017, als die türkis-blaue Regierung angelobt wurde. Bis dahin hatten ÖVP und SPÖ zusammen 44 Jahre in Österreich regiert – zunächst, von 1945 bis 1970, unter der Führung von ÖVP-Kanzlern, dann von 1986 bis 2000 und von 2006 bis 2017 mit SPÖ-Kanzlern.
Abgesehen von der bisher einzigen Beamtenregierung zwischen 3. Juni 2019 und 7. Jänner 2020 hatten die beiden Traditionsparteien Österreich immer fest in der Hand. Immer war eine von ihnen in der Regierung: Die SPÖ in Summe 61 Jahre, die ÖVP fast 62 – und mit Ausnahme der Beamtenregierung durchgehend seit 37 Jahren und 8 Monaten. Auch die Kanzler stellten bis auf die sieben Monate, als mit Brigitte Bierlein eine parteifreie Bundeskanzlerin an der Spitze stand, immer die SPÖ (über 40,8 Jahre) und die ÖVP (37,5 Jahre).
Die Partei, die abgesehen von SPÖ und ÖVP bisher am häufigsten zu Regierungsehren kam, war die FPÖ. Allerdings stellte die Partei noch nie den Kanzler. Insgesamt waren die Freiheitlichen etwas über zehn Jahre am Ruder, rechnet man das 2005 von abgespaltene (und mittlerweile von der Bildfläche verschwundene) BZÖ dazu waren es rund zwölf Jahre. Den überwiegenden Teil davon verbrachten die Freiheitlichen in einer Koalition mit der ÖVP (von 2000 bis 2006 und von 2017 bis 2019), von 1983 bis zur Wahl 1986 gab es eine rot-blaue Koalition.
Dass die FPÖ nicht länger mitregierte, lag nicht nur daran, dass eine Koalition mit ihr lange tabu war – und es mitunter auch keine oder nur eine dünne Mehrheit dafür gab. Sondern auch daran, dass keine einzige der Blau-Koalitionen die ganze Periode durchhielt. Dreimal sprengten FPÖ-Turbulenzen die Koalition, einmal sprengte sie sich selbst. Die letzte türkis-blaue Regierung zerbrach noch flotter als alle anderen – weil eineinhalb Jahre nach ihrer Angelobung 2019 das für Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache verfängliche „Ibiza-Video“ auftauchte.
Die Grünen waren in der Geschichte der Zweiten Republik erst einmal in Regierungskoalition. Trotz zweimaligen Kanzlerwechsels hielt die am 7. Jänner 2020 angelobte türkis-grüne Regierung die volle Legislaturperiode. Paktiert und angelobt worden war die Koalition von ÖVP und Grünen unter ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Nach dessen Rücktritt infolge von Korruptionsermittlungen übernahm im fliegenden Wechsel im Herbst 2021 zunächst für knapp zwei Monate Alexander Schallenberg und anschließend Karl Nehammer (beide ÖVP) das Bundeskanzleramt. Die Koalition mit den Grünen hielt bis heute.