Startseite Kultur Elina Garanča triumphiert als Kundry

Elina Garanča triumphiert als Kundry

von Max

Am Schluss, wenn diese ganze Sache mit der Erlösung durchgespielt ist, wenn alle aus dem Gefängnis herausgefunden haben, sitzt Parsifal alleine da und verbirgt das Gesicht in seinen Händen, überwältigt von Traurigkeit. 

Denn in der aktuellen Inszenierung des wunderbaren Wagner-Werks an der Wiener Staatsoper wartet auf die Gralsritter, auf Gurnemanz und Kundry, kein hell leuchtendes heroisches Himmelreich. Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov lässt Parsifal nur – mit existentiellem Einsatz, siehe Alexei Nawalny – eine Selbstverständlichkeit wiederherstellen, die nicht nur in Putins Russland akut bedroht ist, die Freiheit. 

Dass man das nur mit Hilfe der Männerfantasie – der heilige Speer! –  und einer Zeitreise in die eigene Jugend schafft, weist diese Freiheit als das aus, was sie heute für viele ist – ein Traumgespinst, eine Fantasie in der Strafkolonie.

Die Inszenierung bleibt in der heurigen Spielserie, die am Donnerstag anhob und die nächste Woche von einem eigenen Parsifal-Symposium umrandet ist, eine inspirierende (im Idealfall zu Gedanken, im Normalfall zu Buhrufen) Herausforderung für die Wagnerianer. Aber auch inszenatorisch verschreckte Opernpuristen haben guten, nein: fantastischen Grund, in die Staatsoper zu pilgern. Dieser Grund heißt Elina Garanča.

Die Mezzosopranistin ist als Kundry – hier Journalistin, die zuerst im Grals-Gefängnis recherchiert und dann plötzlich selbst Teil der Story wird, man kennt das – ein beglückendes Ereignis: Hochemotional (man wird von ihr in die für das ganze Werk zentrale Generalpause nach „und lachte“ förmlich hineingetreten), darstellerisch hervorragend und stimmlich von der ersten bis zur letzten Minute ein Erlebnis. Garanča wühlt sich mit spürbarem Drängen durch die Monologe, findet in manchem Nebensatz plötzlich zur  Höllenrose, verführt, herrscht, verzweifelt. Die Kundry der Garanča muss man gehört haben.

Hervorragend auch Günther Groissböck als Gurnemanz, hier der muskelbepackte Gefängnis-Boss, der bei seinen Erzählungen schon mal Insassen tätowiert oder geschwinde ein paar Liegestütze macht. Donnernd salbt er am Schluss den zurückgekehrten Parsifal, den er am Ende des ersten Aufzugs derart rüde wegschickt, dass man sich an dessen Stelle auch lange nicht wieder zurückgetraut hätte.

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Der, Parsifal nämlich, wird von Daniel Frank ordentlich, aber keineswegs spektakulär geboten. Der Held im Hoodie ringt mit seiner eigenen Vergangenheit, die als virile Jungversion (Nikolay Sidorenko) nichts von der Tragik der Ereignisse kapiert. Franks eigentlich angenehmer Tenor bleibt auch in intensiven Momenten allzu erzählerisch, setzt aber beispielsweise im Finale des zweiten Aufzugs einen fulminanten Schlusspunkt, muss am Schluss forcieren – und bleibt nicht nur im – sicherlich unfairen – Vergleich mit Garanča und Groissböck blass.

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Michael Nagy ist stimmsicher, ausdrucksstark und mitleiderrgend als Amfortas. Klingsor ist in der Inszenierung der toxischste aller #MeToo-Chefredakteure, der bei Werner Van Mechelen aber ein allzu braver Grapscher und wenig furchteinflößender Bürohengst bleibt, der am Schluss noch geschwind zum Scotch greift, bevor er von Kundry erschossen wird.  

Apropos furchteinflößend – oder eben nicht: Das Werk selbst hat zwei höchst unterschiedliche musikalische Gesichter mit ganz vielen Zwischenpositionen. „Parsifal“ lässt sich lesen als warmwohliges Gefühlsbad mit versprochenem Erlösungsglück. Oder als Todesmusik, die genau diese Ingredienzen des 19. Jahrhunderts bei der Gurgel packt, umbringt, damit eben diese wohlige Operntradition zum Schlusspunkt führt und beendet – und all die Revolutionen und Schrecken des 20. Jahrhunderts vorankündigt. 

Zweiteres Gesicht würde hervorragend zum Bühnengeschehen passen, Dirigent Alexander Soddy aber widmet sich dem ersteren. Sein „Parsifal“ streicht die Gefängnisfassade schön an, fühlt sich in den triumphalen Momenten, im Schönklang des Karfreitagszaubers und  im Hardrock der zweiten Verwandlungsmusik zu Hause – und erhielt dafür viel Zuspruch des Pubikums. Das revolutionäre Potenzial der Musik, der kalte Blick Wagners auf die Mechanismen der Verführung und die Wucht dieses musikhistorischen Abgesangs aber bleiben ungeborgen.

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